Umtriebig war er. Ein schöner Hund, noch robust und drahtig, und im besten Alter. Aber umtriebig. Seine Einsamkeit und sein Zweifel an sich selbst trieben ihn immer wieder zu irgendwelchen Weibchen. Er wollte nur Schnuppern. Nicht draufspringen. Wirklich nur Schnuppern. Und hier und da mußte er sogar heftig niessen, weil daß, was ihm da in die Nase kroch, überhaupt nicht nach seinem Geschmack war.

Die anderen Hunde aus dem Rudel missachteten ihn. Straften ihn mit Argwohn. Weil er eben gerne schnupperte. An ihren Weibchen. Und keinen Hehl daraus machte. Das auch nie als etwas besonderes hinstellte. Er war kein Casanova, kein Aufreisser, er wedelte einfach nur gerne mal mit dem Schwanz, wenn ihn etwas freute. Aber in dem Rudel war Freude nicht besonders geschätzt.

Und so litt er still vor sich hin, und versuchte das Geknurre hinter seinem Rücken zu ignorieren. Was ihm als blasiertes Getue ausgelegt wurde. Aber da versuchte er nicht drauf zu hören.

Und eines Tages traf der Hund eine Hündin, die er schon lange kannte, aber irgendwo verloren hatte. Er hatte Sie schon mal beschnuppert, da war er noch ein Welpe, und die Hündin hielt ihn erstmal aus irgendwelchen Gründen auf Abstand. Doch jetzt war es irgendwie anders, denn sie lies ihn gewähren, akzeptierte ihn als Männchen, und so ergab es sich, daß die beiden fortan gemeinsam durch die Stadt stromerten.

Doch das Geknurre der anderen hörte einfach nicht auf. Ganz im Gegenteil: Es wurde lauter, und hier und da erschallte sogar lautes Bellen und Keifen. Denn die anderen Hunde aus dem Rudel gönnten dem Hund sein Glück nicht. Und wähnten die Hündin in Gefähr, weil sie der festen Überzeugung waren, daß der Hund kein Hund sei, sondern ein böser Wolf, mit unlauteren Absichten. Ein Wolf im Golden-Retriever-Pelz.

Dem Hund ging das sehr zu Herzen. Er wusste, daß er wohl irgendwann mal was falsch gemacht hatte, damals, als er noch ziellos herumstromerte. Aber das konnte ihm ja keiner vorwerfen, denn Schnuppern konnte ja nichts wirklich schlimmes sein. Doch man warf es ihm immer noch vor, trug es der Hündin zu Ohren und stiftete mehr und mehr Unruhe in der Freundschaft der beiden.

Der Hund war verzweifelt. Ihn schmerzte das Gebelle und Gekeife sehr, und er wusste nicht was er machen sollte. Den Schwanz einziehen? Kam nicht in Frage, dafür war er zu stolz. Abhauen? Auch nicht, denn auch das wäre Feigheit sondergleichen, und nur weiteres Futter für die keifenden Missgünstlinge.

Also was genau sollte er jetzt tun,
um die geliebte Hündin nicht zu verlieren?

Wunderschönschräg: Frau Schubiak und die Klingelkinder und warum man sein Namensschild in Dutreux ändern sollte!

Er hieß Simon. Ein pummeliger Spanier. Braune Haare, dunkle Augen. Er stotterte. Schlimm. Und war in der Halbzeit auf dem Gymnasium nicht weniger als mein bester Freund. Dabei waren wir grundverschiedene Charaktere. Aber wir hatten den selben Heimweg. Und das schweißte uns irgendwie zusammen. Neben der Tatsache, daß wir die typischen Gastarbeiterkinder waren. Darauf beriefen wir uns. "Südländer halten zusammen!", hieß es dann immer. Zum Beispiel, wenn sich jemand über Simons Stottern lustig machte. Und ich dann dazwischen sprang, ihn in Schutz nahm, und mich (im wahrsten Sinne des Wortes) in Verbalverteidigung übte. Oder wenn er sich vor mich stellte, wenn ich mal wieder meine Probleme mit Älteren hatte, die ich ja gerne respektlos behandelte und ärgerte. Dann war Simon da.

Denn Simon war bärenstark, das weiß ich noch. Man hat es ihm nicht direkt angesehen, aber Simon konnte Hollandräder mit einem Arm hochheben und über Gartenzäune schleudern. Was sicherlich keine noble Geste gegenüber dem Besitzer des Fahrrades war, aber nichts desto trotz eine respekteinflössende Anmutung hatte. Und sogesehen war es neben aller Zwischenmenschlichkeit in dieser Freundschaft auch reiner Zweckopportunismus meinerseits, diesen Freund an meiner Seite zu haben. Denn Probleme mit älteren hatte ich oft, und die waren meist hausgemacht.

Wir sahen aus wie dick und dünn und gingen auch durch dick und dünn. Immer gemeinsam. Die Südländer-Bande. Mit und wegen Simon erlebte ich meinen ersten Rausschmiß aus dem Matheunterricht. Mit und wegen Simon trank ich das erste mal Alkohol. Mit und wegen Simon lernte ich, was "Dosenstechen" ist. Mit und wegen Simon kiffte ich das erste mal. Mit und wegen Simon hatte ich meiner erste offizielle Mädchengeschichte. Und die war eher doof, obwohl sie jetzt, in der romatisch verklärten Nachbetrachtung, was amüsantes hat.

Simon kannte dieses Zwillingspärchen. Die Schellhases. Zwei sehr hübsche Mädchen, die eine eher offen und laut, die andere schüchtern und zurückhaltend. Er wollte die Laute. Da die Zwillinge aber immer zu zweit rumliefen, blieb es nicht aus, daß ich mich der Schüchternen annehmen musste. Erstes Händchenhalten, Nachmittags im Stadtpark, während der Spanier und die Laute knutschten. Ich war restlos überfordert. Denn eigentlich wollte ich von der kleinen Schellhase nichts, und sie wollte auch nichts von mir. Sogesehen war das eher eine Anstandswauwau-Beziehung. Wenn es denn überhaupt eine Bezihung war.

"Ich hatte meine Hand in ihrem Hosenbund", sagte Simon stolz eines Nachmittages. Ich wusste nichts darauf zu entgegnen. Nicht, daß ich es ihm nicht gegönnt hätte, aber dieser Satz klang mir zu befremdlich. Ich war nicht unbedingt zu jung für sowas, aber ich verstand den Sinn nicht. Und irgendwie rückte es mich auch ein Stück von Simon weg, denn er benahm sich plötzlich zu erwachsen für mich. Wobei "Fummeln" an sich nichts erwachsenes ist. Aber, so wie er es sagte, und mit den Absichten die ich dahinter vermutete, fühlte es sich erwachsen an. Und das war ein Gefühl, daß ich zu jenem Zeitpunkt nicht mochte. An ihm.

Ein paar Monate später verschwand Simon mit seinen Eltern für 7 Wochen nach Spanien. Sommerferien. Ich war also mehr oder minder ohne meinen besten Freund. Was mich aber nicht störte, denn es gab ja noch andere, und ich lernte in jenem Sommer einen anderen Simon kennen (der hieß "Simon" mit Nachnamen), der auf "meiner " Wellenlänge war. Obwohl er älter war als ich. Die Tatsache, daß uns unser Freundeskreis alleine zurücklies, schweisste uns zusammen. Wir wurden zwar keine besten Freunde, aber wir verstanden uns schon so gut, daß der eine die Marotten des anderen übernahm. Der Nachnamen-Simon adaptierte meinen Humor, ich seine Aussprache. Fast woe Brüder, obwohl wir uns eigentlich kaum kannten, und auch kaum Gemeinsamkeiten hatte.

Als Simon, der andere, aus Spanien zurückkehrt, war alles anders. Unterkühlt. Was meine Schuld war. Was ich aber zu jener Zeit nicht begriff. Heute fühlt es sich so an, als wäre ich damals jemandem Fremdgegangen. Eine Freundschaft zu dritt war nicht drin, denn der eine Simon konnte den anderen Simon nicht leiden. Und umgekehrt. Und so verlor ich Simon, den Spanier, irgendwo in meiner Jugend im Stadtpark. Natürlich hatten wir immer noch Umgang, natürlich verbrachten wir auch gelegentliche Nachmittage miteinander. Aber es war nie wieder so wie damals, als wir uns fast alles teilten.

Simon flog irgendwann von der Schule. Weil er beim Hasch-Dealen erwischt wurde. Ich traf ihn viele Jahre später wieder. Er war Barmann in einer relativ noblen Gastronomie. Ich war freier Schreiberling, wollte meinen Nachmittag mit einem Milchkaffee versüßen, und erschrak, als ich ihn hinterm Tresen sah. Er war nicht mehr pummelig, sondern ein bildhübscher junger Mann. Und sein Stottern war weg. Wir redeten an jenem Nachmittag sehr viel. Über alte Zeiten, neue Liebschaften, Logopädie. Und es fühlte sich an wie früher. Wir tauschten Telefonnummern aus. Versprachen uns, den Kontakt wieder aufzubauen.

Aber gemeldet hat sich keiner von uns.

"Gut eine Flasche Wein später setzte ich sie Schachmatt.
Dabei hatte sie das Spiel längst gewonnen."

 

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