Sachte streckt sich die Wirbelsäule wieder Richtung Himmel, so als falle ein immenser Druck von den Schultern. Die Brust schwellt sich, die klammen Handinnenflächen trocknen in sekundenschnelle, und die Mundwinkel wandern ganz sachte nach oben. Es ist immer wieder ein erhabenes Gefühl, wenn der Geldautomat einem signalisiert, daß der Fluch der Selbstständigkeit nicht ewig anhält.

Her mit den Kröten, Du Sau!

"Ein Catwalk für den Tagtraumdauerlauf."

Ein mal im Jahr schmeisst sich der Siegener Medienstudent so richtig in Schale. Wahrscheinlich tut er das auch mehrmals im Jahr, zum Beispiel an Weihnachten, oder zur Geburtstagsfeier seiner im Ruhrgebiet lebenden Großmutter, oder weil sein bester Freund nach 38 Semestern dann doch endlich mal das Studium der Japanologie beendet hat. Aber eben dieses eine Mal, wo das in Schale schmeissen rein gar nichts mit Geburtstagen oder christlichen Feiertagen zu tun hat, da macht es der Siegener Medienstudent aus eigenen Antrieben. Oder, wie man/er so schön sagt: Um sich selbst zu feiern.

Die Damen und Herren Medienstudenten laden zur Party und Preisverleihung in die Siegener Stadtbühne ein, jenem altehrwürdigen Relikt der 60er Jahre, das von den Stadtvätern mittlerweile genauso stiefkindlich behandelt wird, wie die Ausgehkultur an sich. Also wird mit dieser Veranstaltung namens "Der Goldene Monaco" gleich doppelt gemoppelt - wenn man denn den Veranstaltenden so viel soziale Kompetenz zutrauen will.

Der "Monaco" hat jetzt rein gar nichts damit zu tun, daß man hier etwa Cannes oder Hollywood Konkurrenz machen will, sich aber nicht zutraut, das ganze "Der güldene Siegen" zu nennen - was ja auch ein reichlich alberner Name für so eine Veranstaltung wäre. Vielmehr gibt es wohl einen gewissen Herrn Monaco, der eines der wichtigsten Nachschlagewerke zum Thema Medien verfasst hat - eine Lektüre, die wohl in jedem gutsortierten Altpapieraufbewahrungsort Siegener Medienstudenten zu finden sein dürfte. Woher ich das weiß, weiß ich nicht mehr, aber ich bin ja auch nur ein einfacher Werbefuzzi, und sogesehen völlig deplatziert in dieser Thematik - und auf dieser Veranstaltung, was sich aber erst später herausstellen soll.

Der "Monaco", um den es heute Abend geht, ist eine kleine, goldene Skulptur, die seit geraumer Zeit alljährlich an jene Medienstudenten verliehen wird, die während ihres Studiums tatsächlich noch Zeit hatten, einen Film zu drehen. Das Medienstudenten das ab und an mal machen, hab ich in den letzten 7 Jahren meines Aufenthaltes in dieser Stadt durchaus mitbekommen, daß es aber eine aufgerüschte Veranstaltung gibt, in deren Rahmen die besten Kurzfilmchen ganz Oscarlike honoriert werden, habe ich mehr oder weniger nie wirklich wahr genommen. Und so ist der Schreck erstmal ein ganz großer, wenn man sich plötzlich in einem miefigen 60er-Jahre Nadelstreifenanzug über einen roten Teppich laufen sieht, umgeben von coolen und uncoolen und ganz coolen und ganz uncoolen jungen Menschen, die allesamt beim Ertönen des Gongschlags mit ihren frischgeduschten Popos auf den 400 reservierten und 400 nicht reservierten altehrwürdigen Stühlen der altehrwürdigen Stadtbühne Platz nehmen.

Auf der Bühne, respektive am rechtesten Rand entdecke ich unseren ehemaligen Drummer nebst seiner Funkband, die wohl eigens für diese Veranstaltung einen Song komponiert, diesen ganz professionell in einem Hitech-Studio aufgenommen und ganz professionell auf eine käuflich erwerbliche CD pressen lassen hat. Was aber - wie sich in späteren Gesprächen mit unserem Ex-Drummer herausstellt - keinen einzigen Medienstudenten wirklich interessiert. Was auch nicht zuletzt an dem medienstudentischen Moderatorenpärchen dort oben auf der Bühne liegen mag, das seine Sache zwar ganz nett aber eben auch nur ganz nett macht. Gut, vielleicht bin ich da im Ansatz zu kritisch, aber wirklich fesseln konnten mich der kleine Daniel van Moll-Verschnitt mit der Abwasserkanalreibeisenstimme und das Ding in dem Abendkleid, das sich eigentlich nur durch eine nicht gerade komische Linda de Mol-Parodie bemerkbar machte, nicht wirklich.

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Heutzutage gehen junge Menschen gerne auf die Bühne, um andere junge Menschen, die nicht so gerne auf die Bühne gehen, zu unterhalten. Manchmal wirkt das unfreiwillig komisch.

Und dann wurden die Preise verliehen. Der erste war ergreifend, weil ein sogenannter "Ehrenmonaco". An einen Professor, den ich zwar nicht kannte (ich wage zu bezweifeln, daß ich überhaupt einen Professor an der Siegener Universität kenne - aber ich bin ja auch nur Werbefuzzi und kein Student!), der sich aber in der Vergangenheit wohl redlichst um den erhalt und Ausbau des Studengangs bemüht hat. Insofern ergreifend, weil dieser Mensch tatsächlih geballtes Wissen ausstrahlte und mit fesselnden Anekdoten aus seiner Karriere als Dokumentarfilmer aufwarten konnte. Und damit war der wirklich unterhaltsame Teil des Abends gelaufen. Denn was dann folgte, war eine zähe Mischung aus Abitur-Feier und Kurzfilmpräsentation. Ob Medienstudenten-Nasenflötenorchester, Medienstudentenband ohne Namen und eigene Songs, Medienstudentenzaubergruppe oder Medienstudententanzballett: Das alles konnte wohl nur diejenigen vom mit spärlichen Stoffresten kümmerlich geflickten 60er-Jahre Stadtbühnenstuhl reissen, die die Darbietenden auch privat kannten und/oder mit den Darbietenden verwandschatliche Bande teilten. Für den überraschten Besucher war das nichts.

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Für viele ein Highlight: Das Medienstudentennasenflötenorchester. Was wird aus diesen jungen Männern wohl in 10 Jahren? Und wieso haben Nasenflötenorchester keine Dirigenten?

Und so wunderte mich auch nicht, daß der junge Mann vor mir, den ich kurze Zeit später als ehemaligen Schulkameraden aus Düsseldorfer Tagen indetifizierte (Zufälle, Zufälle, ja die gibt es!), und das letzte Mal mit Doc Martens und klar erkennbaren Psychobilly-Outfit vor 10 Jahren auf dem Schulhof meiner alten Düsseldorfer Schule gesehen habe, bereits nach einer Stunde den Saal verlies, um draussen Bier zu trinken. Der junge, immer noch bösartig aussehende Mann ist übrigens mittlerweile Jurist, und wenn Düsseldorfer Juristen eine Medienstudentenveranstaltung in Siegen besuchen, kann man sich denken, was sie davon halten ("Das ist sowas wie das Highlight in dieser Stadt, richtig? Und was machst Du eigentlich hier?"). Da half auch das schwelgen in Schulzeit-Nostalgie nicht weiter.

Der Rest? Nun, dem Zeitempfinden nach verbrachte man als Zuschauer über 5 Stunden damit, teils qualitativ hochwertige Filmchen, teils aber auch belanglosen Doku-Kram über Hobbies wie Segelfliegen, Ballonfahren und junge, longboardfahrende Jungmädchentraummänner um die Augen gejubelt zu bekommen. Was jedoch in Anbetracht der studentisch bedingten Unruhe im Saal und des schlechten Sounds (Bemerkenswert: Beim für den besten Ton nominierten Beitrag fiel zuerst der Ton aus!) aus den alten Boxen keinen rechten Spaß machen wollte. Und eher anstrengend als unterhaltend war.

Und dann war da noch dieser 2nd-Gen-Superstar-Lorenzo als Laudator, von dem ich immer noch nicht weiß, ob er schlimmer als Küblböck ist. (Wie bemerkte meine Freundin so schön: Als Frau säh der besser aus!). Wollte man den Siegener Medienstudenten Böses unterstellen, könnte man den Auftritt des dunkelheutigen Entchenmannes mit der Quäckstimme und dem durch und durch tuntigen Touch auch als Selbstironie verstehen: Wenn wir schon wie die Stars sein wollen, aber keine sind, dann holen wir uns auch Stars auf die Bühne, die welche sein wollen, aber keine sind. In Anbetracht des durch und durch braven Untertons der Veranstaltung, vermute ich aber mal, daß es tatsächlich eher so lief: Die in Köln lebende Freundin eines Freundes eines Siegener Medienstudenten ist eine Nachbarin von Lorenzo, und da man ja sonst keine nennenswerten, überregional bekannten Promis in Siegen hat (bis auf Peter Paul Rubens - und der ist tot), wurde dann die in Köln lebende Freundin eines Freundes eines Siegener Medienstudenten gefragt, ob sie denn nicht Lorenzo mal freundlich Fragen könnte, weil er doch so Prominent ist, und ob er denn nicht... Ich will nicht wissen, was man dem Entemann alles versprochen und nicht gehalten hat, damit er auftaucht, aber es war so oder so lustig. Oder bitter. Je nachdem, aus welcher Perspektive man so etwas sieht.

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Lorenzo erinnerte mich ein wenig an Loretta aus Monty Pythons "Leben des Brian". Es fehlte nur ein Satz wie "Ich will Kinder, auch wenn ich keine Mumu habe".

Und dann war da ja noch die Party, auf der die ganzen schnieken Medienstudenten ihre Veranstaltung und sich selbst begossen und befeierten. Und da will ma ja als Aussenstehender nicht stören. Oder eher: Wenn die Augen und Ohren nach einer solchen Karawane an Kurzfilmen, Laudatios und Unterhaltungsorgien eh schon überbelastet sind, macht es wenig Freude, sich bei anachronistisch anmutender Housemusik vom Plattenteller zu den ganzen Medienstudenten zu gesellen, und die Hohe Kunst des Tratschens zu zelebrieren. Irgendwann ist auch mal Schulz mit Lustig, sagt der Kalauer in mir, und so ziehen meine liebste Freundin und ich von dannen, Richtung Tankstelle, um noch ganz profan eine handelsübliche Flasche Bier auf den Nachhauseweg zu begleiten. Denn mit Warsteiner Longnecks und Prosecco-Redbull läßt sich so ein exklusives Ereignis nur schwer vergessen...


P.S. Die Fotos sind geklaut, ich sag aber nicht wo.

P.P.S. Sicherlich gibt es auch im Internetz ein paar Siegener Medienstudenten, die demnächst auf diese zeilen stossen, und dann zur Lynchjustiz gegen die Freakshow aufrufen. Aber seien wir doch mal ehrlich, es war doch so...

P.P.S. Ich kenne mindestens zwei Medienstudenten, die nicht zugegen waren, weil sie in Holland mit dem Konsum weicher Drogen beschäftigt waren. Ob das in einem Kontext zu dieser Veranstaltung stand, weiß ich nicht. Aber es ist zu vermuten.

 

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