Ein Selbstversuch: Die Erlebnisse einer fast gescheiterten Deutschpopband, die ein halbes Jahr weder gespielt, noch geprobt, zwischenzeitlich den Drummer verloren, und gestern Abend erfahren hat, daß sie übermorgen Abend als Gewinner eines Talentwettbewerbes auf einem Stadtfest im tiefsten Sauerland spielt.

Kapitel 3. Freitag, 27.8.
Kann ich bitte noch ein Bier...


8.45 Uhr
Schon wieder war der Herr Sportraucher früher wach, Olympia guckend. Zumindest bin ich davon ausgegangen, als ich die Deutsche Nationalhymne aus meinem Wohnzimmer schallen hörte. Aber: Heute mal halbwegs fit in den Tag zu starten hat auch was für sich. Das bestätigte sogar der Herr Sportraucher, der von meinen nächtlichen Backingkorrekturen anscheinend gar nichts mehr mitbekommen hatte.

10 Uhr
Seit einer Stunde im Büro. Plötzlich ein Anruf. Der Veranstalter. Ob wir nicht unser Schlagzeug mit den zwei anderen Bands teilen könnten, damit es weniger Umbaupausen gibt. Ich muß heftig lachen. Hätte der gute Mann mein Fax vom Vortag gelesen, wüsste er, daß wir keinen Drummer haben. Alles aus der Konserve, sage ich, sorry! Er schwärmt noch ein wenig von der Profitechnik, die uns dort in der sauerlänischen Provinz erwartet, und wie toll doch das Personal sei. Und da werden in meinem Hinterkopf wieder Erinnerungen wach, an die Profimischer, die uns letztes Jahr immer wieder mit großen Worten bestätigten, wie gut sie doch an den Reglern seien. Und dann aber immer wieder scheiterten, wenn es um die Elektronik ging. Mischpultmänner sind gescheiterte Rockmusiker, das ist Fakt. Und Rockmusiker haben ein Problem mit Elektronik, das ist auch Fakt. Und in Anbetracht des Schmallenberg-Gigs macht es mir Angst, zu wissen, daß der Mann, der TOM ASTOR mischt, auch uns mischen wird. Obwohl: Elektrocountry wäre ja mal ein neuzuerfindendes Genre.

12.17 Uhr
Mittagspause mit meinem Kollegen, der nächste Woche in Urlaub fährt. Ein quasi Ausstand beim China-Imbiß. Ich bin völlig aufgedreht, wahrscheinlich, weil ich so gut geschlafen habe. Auf dem Weg zum Imbiß steht unser Hausfotograf mit seinem Passat an der roten Ampel. Ich renne rüber, steige hinten bei ihm ein, und auf der anderen Seite wieder aus. Die erste Selbstbewusstseinsübung vor dem großen Schmallenberg-Gig entpuppt sich als gelungener Lacher bei ein paar Bankern, die wahrscheinlich nicht lachen würden, wenn sie wüssten, wie mein Kontostand bei ihrer Bank aussieht.

In einem Anfall von Übermut kaufe ich mir ein paar neue Sneaker. Schick für's Konzert. Und um Frau E. zu beeindrucken. Schuhe sind wichtig, hab ich in der Bild der Frau gelesen...

14 Uhr
Ein kurzes E-Mail-Geschäkere mit der herzallerliebsten Frau E., die sich jetzt auch eine Katze zulegen will, lenkt mich von meiner ansteigenden Nervosität ab. Praktisch ist so eine Katze ja schon, zumal man dann immer Premium-Weblog-Content hat, wenn mal kein Konzert ansteht.

15.54 Uhr
Mein Versicherungsmakler macht auf beleidigte Leberwurst. Eigentlich hätte er heute einen Termin mit mir gehabt. So wie die letzten 8 Wochen auch. Aber da ich ihm die letzten 8 Wochen regelmässig abgesagt habe, muss ich diese Tradition fortführen, und ihm heute schon wieder absagen. Denn. Schmallenberg geht vor Hausrat-Zusatz.

16.30 Uhr
Die Probe beginnt. Anwesend ist auch Nico, der mit 2.80 Meter wohl größte, mit 19 Jahren aber auch jüngste Türsteher der Welt. Ich nenne Nico immer Ingo, habe aber bis jetzt noch nicht begriffen, warum ich das tue. Ingo ist völlig begeistert von den neuen Songs, und geradezu erschrocken darüber, daß wir die so perfekt drauf haben, obwohl wir doch erst seit einem Tag proben.

 ingo

Das ist Ingo. Oder Nico. Ich weiß es nicht mehr. Er ist 3.50 Meter groß. Wenn er sitzt, und von unserer Musik ergriffen ist, macht er sich jedoch so klein, daß er kaum größer als eine Bierkiste ist. Das Bier heißt übrigens "Schlappe Seppel", und den Rest kann man sich denken.

ca. 20 Uhr
Frau E. taucht auf, schaut sich die Probe an, und läßt ein paar kritische Anmerkungen verlauten, die streckenweise durchaus berechtigt sind. Als in meinen Augen größte Kritikerin zählt ihr Wort natürlich doppelt und dreifach, und wenn sie sagt: "Hoffentlich geht ihr auf der Bühne genauso aus Euch raus wie hier!", dann hat man das ernstzunehmen.

raucher

Wenn man mal genau auf den Amp vom Herrn Sprtraucher guckt, weiß man auch, warum er sich so nennt. Denn das gute Stück war mal schneeweiß, und ist jetzt nikotingelb. Und wenn man das teil auf den Kopf stellt, kann man sich eine ganze Stange Zigaretten aus dem herausfallenden Tabak drehen. Bestimmt.

ca. 23 Uhr
6 Stunden geprobt, völlig durchnässt, satt von ranzigen Fritten und diversen Bieren. Fix und fertig. Irgendwas in mir ruft nach Bett. Nervös? Nö. Nur ausgelaugt. Aber zufrieden. Die Setlist steht wie ein Brett. 10 Songs machen 34 Minuten Elektrorocknroll. Keine Zeit zum durchatmen.
waldar kommentierte am 30. Aug, 13:54:
das ham sie
sehr schön aufgeschrieben, herr shhh. und schon klicke ich mich weiter zum letzten kapitel. 
 

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