Als führerscheinloser Autoverabscheuer Artikel für ein Kundenmagazin über Automobilneuvorstellungen schreiben zu müssen, ist gelinde gesagt ganz große Scheiße. Und dennoch hat es auch seine lichten Momente. So musste ich gerade, als ich den Artikel über eine dieser völlig überteuerten, benzinschluckenden Nobelkarossen runtergetippt hatte, an meinen allerersten Nebenjob zurückdenken.
Herr Keller war dem Alkohol nicht abgeneigt. Ich war damals 14 Jahre alt. Oder 12. Und demnach in einem Alter, wo einem die Tragweite bestimmter Zusammenhänge nicht bewusst ist. Zum Beispiel, daß Alkoholkonsum bei KFZ-Meistern nicht unbedingt gerne gesehen wird. Für mich hatte Herr Keller einfach nur eine dicke rote Nase, einen glasigen Blick und die Angewohnheit, sehr phlegmatisch zu sein. Fand ich irgendwie lustig. Für seine Kunden hatte er wohl eher was bedrohliches. Die fanden das alles irgendwie nicht lustig. Genauso wenig Frau Keller, die jeden Tag zur Kontrolle in die kleine, schmuddelige Hinterhof-Werkstatt am Rande von Düsseldorf Gerresheim kam, um ihrem Mann das Mittagsessen zu bringen, und ihn zu ermahnen, mit dem Frühstücks-Bier doch nächstes mal bis nach Feierabend zu warten. Aber mich kümmerte das nicht. Ich hatte meinen Spaß an Reifenauswuchten, Ölwechseln und Rumwühlen in Ersatzteilen, von deren Funktion ich keinen blassen Schimmer hatte. Mit 14, oder mit 12.
In den Monaten, wo ich regelmäßig nach der Schule bei und für Herrn Keller den Kleinkram erledigte, beschloss seine Frau, daß das so nicht weitergehen konnte. Und so bekam Herr Keller Unterstützung von einem KFZ-Meister, der gerade aus den neuen Bundesländern nach Düsseldorf gezogen war. Er hieß glaube ich Rüdiger. Rüdiger war eifrig, genau, und kaum zu verstehen, da das Sächsische in seiner Aussprache einfach noch zu neu und zu ungewohnt für rheinische Ohren war. Und Rüdiger war letztendlich der Grund, warum es Herrn Keller von Tag zu Tag schlechter ging. Mir war diese Verknüpfung irgendwie bewusst. Herr Keller fühlte sich hintergangen, ersetzt, seiner Kompetenz beraubt. Das einzig positive für ihn war, daß er jetzt noch unbekümmerter noch mehr Alkohol in sich reinschütten konnte, ohne dabei seine Kunden zu gefährden, während Rüdiger sich eben um die Sachen kümmerte, um die sich Automechaniker nun mal so kümmern.
Und so war ich ab dem Zeitpunkt, wo Rüdiger mehr oder minder die Führung in der Werkstatt übernahm, dazu gezwungen, die niedersten Arbeiten zu erledigen. Die spannenden Sachen wie Luftdruck prüfen oder eben Öl wechseln wurden mir weg genommen, und statt dessen durfte ich Schrauben nach Größe sortieren, Autos polieren und reilich dumm aus meiner C&A-Wäsche gucken, wenn es denn dann gar nichts mehr für mich zu tun gab.
Dumm aus der C&A-Wäsche gucken sah meistens so aus, daß ich Rüdiger dabei beobachtete, wie er mehr oder minder geschickt Reparaturen improvisierte. Frei nach dem Motto: "Was mit einer Schweißnaht nicht hält, hält eben mit Kaugummi - Scheiß auf den TÜV!". Rüdiger war Meister darin, und das war, neben seinen abschätzigen Bemerkungen pber den "besoffenen Chef" eigentlich das einzig faszinierende an diesem merkwürdigen Kerl mit der dicken Brille, dem Schnauzbart und der unverständlichen Aussprache. Und trotz Rüdiger ging ich immer noch gerne jeden Nachmittag zu Herrn Keller in die Werkstatt. Sich in der Pubertät wichtig fühlen, Nachmittag für Nachmittag für Nachmittag.
Eines Nachmittags jedoch stand ich vor verschlossenen Türen. Völlig unerwartet hatte die Autowerkstatt Keller ihre Pforten geschlossen. Nirgends ein Indiz dafür, was wohl passiert war. Ich erfuhr erst Monate später von meiner Mutter, daß Herr Keller einem Schlaganfall erlegen war, Frau Keller kurzerhand die Werkstatt zugemacht hatte, und der "komische Ossi mit dem Schnauzbart" zwischenzeitlich mit der ganzen Knete abgehauen sei. Es hatte was von einem sehr schlechten Drehbuch, und ich vermute, daß die ganze Sache dank zahlreicher nachbarschaftlicher Insiderinformationen themensuchender Hausfrauen ordentlich ausgeschmückt worden war.
"Besser er, als einer seiner Kunden", hatte meine Mutter gesagt. "Warum er, warum nicht Rüdiger", hab ich damals gedacht.
Herr Keller war dem Alkohol nicht abgeneigt. Ich war damals 14 Jahre alt. Oder 12. Und demnach in einem Alter, wo einem die Tragweite bestimmter Zusammenhänge nicht bewusst ist. Zum Beispiel, daß Alkoholkonsum bei KFZ-Meistern nicht unbedingt gerne gesehen wird. Für mich hatte Herr Keller einfach nur eine dicke rote Nase, einen glasigen Blick und die Angewohnheit, sehr phlegmatisch zu sein. Fand ich irgendwie lustig. Für seine Kunden hatte er wohl eher was bedrohliches. Die fanden das alles irgendwie nicht lustig. Genauso wenig Frau Keller, die jeden Tag zur Kontrolle in die kleine, schmuddelige Hinterhof-Werkstatt am Rande von Düsseldorf Gerresheim kam, um ihrem Mann das Mittagsessen zu bringen, und ihn zu ermahnen, mit dem Frühstücks-Bier doch nächstes mal bis nach Feierabend zu warten. Aber mich kümmerte das nicht. Ich hatte meinen Spaß an Reifenauswuchten, Ölwechseln und Rumwühlen in Ersatzteilen, von deren Funktion ich keinen blassen Schimmer hatte. Mit 14, oder mit 12.
In den Monaten, wo ich regelmäßig nach der Schule bei und für Herrn Keller den Kleinkram erledigte, beschloss seine Frau, daß das so nicht weitergehen konnte. Und so bekam Herr Keller Unterstützung von einem KFZ-Meister, der gerade aus den neuen Bundesländern nach Düsseldorf gezogen war. Er hieß glaube ich Rüdiger. Rüdiger war eifrig, genau, und kaum zu verstehen, da das Sächsische in seiner Aussprache einfach noch zu neu und zu ungewohnt für rheinische Ohren war. Und Rüdiger war letztendlich der Grund, warum es Herrn Keller von Tag zu Tag schlechter ging. Mir war diese Verknüpfung irgendwie bewusst. Herr Keller fühlte sich hintergangen, ersetzt, seiner Kompetenz beraubt. Das einzig positive für ihn war, daß er jetzt noch unbekümmerter noch mehr Alkohol in sich reinschütten konnte, ohne dabei seine Kunden zu gefährden, während Rüdiger sich eben um die Sachen kümmerte, um die sich Automechaniker nun mal so kümmern.
Und so war ich ab dem Zeitpunkt, wo Rüdiger mehr oder minder die Führung in der Werkstatt übernahm, dazu gezwungen, die niedersten Arbeiten zu erledigen. Die spannenden Sachen wie Luftdruck prüfen oder eben Öl wechseln wurden mir weg genommen, und statt dessen durfte ich Schrauben nach Größe sortieren, Autos polieren und reilich dumm aus meiner C&A-Wäsche gucken, wenn es denn dann gar nichts mehr für mich zu tun gab.
Dumm aus der C&A-Wäsche gucken sah meistens so aus, daß ich Rüdiger dabei beobachtete, wie er mehr oder minder geschickt Reparaturen improvisierte. Frei nach dem Motto: "Was mit einer Schweißnaht nicht hält, hält eben mit Kaugummi - Scheiß auf den TÜV!". Rüdiger war Meister darin, und das war, neben seinen abschätzigen Bemerkungen pber den "besoffenen Chef" eigentlich das einzig faszinierende an diesem merkwürdigen Kerl mit der dicken Brille, dem Schnauzbart und der unverständlichen Aussprache. Und trotz Rüdiger ging ich immer noch gerne jeden Nachmittag zu Herrn Keller in die Werkstatt. Sich in der Pubertät wichtig fühlen, Nachmittag für Nachmittag für Nachmittag.
Eines Nachmittags jedoch stand ich vor verschlossenen Türen. Völlig unerwartet hatte die Autowerkstatt Keller ihre Pforten geschlossen. Nirgends ein Indiz dafür, was wohl passiert war. Ich erfuhr erst Monate später von meiner Mutter, daß Herr Keller einem Schlaganfall erlegen war, Frau Keller kurzerhand die Werkstatt zugemacht hatte, und der "komische Ossi mit dem Schnauzbart" zwischenzeitlich mit der ganzen Knete abgehauen sei. Es hatte was von einem sehr schlechten Drehbuch, und ich vermute, daß die ganze Sache dank zahlreicher nachbarschaftlicher Insiderinformationen themensuchender Hausfrauen ordentlich ausgeschmückt worden war.
"Besser er, als einer seiner Kunden", hatte meine Mutter gesagt. "Warum er, warum nicht Rüdiger", hab ich damals gedacht.
Herr shhhh
am Mittwoch, 5. Mai 2004, 20:36
fragmente kommentierte am 6. Mai, 11:21:
Wäre es nicht sinnstiftend, das Wort "führerscheinloser" groß zu schreiben?Sicher ist dieser Kommentar kleinlich von mir, aber gerade weil mir Ihr Text gut gefällt, mag ich diesen Makel nicht ertragen.
fragmente entgegnete am 6. Mai, 11:33:
Jetzt bin ich überrascht, aber zufrieden.(Es wäre vielleicht ein interessantes Spiel, einen Text zu scheiben und ihm dann durch Veränderung der Groß- und Kleinschreibung, durch Hinzufügen oder Löschen einzelner Worte einen anderen Sinn zu geben.)
shhhh entgegnete am 6. Mai, 11:35:
Schöner Ansatz:
Geschichten-Remix.