Bandtagebuch.

Ein Selbstversuch: Die Erlebnisse einer fast gescheiterten Deutschpopband, die ein halbes Jahr weder gespielt, noch geprobt, zwischenzeitlich den Drummer verloren, und gestern Abend erfahren hat, daß sie übermorgen Abend als Gewinner eines Talentwettbewerbes auf einem Stadtfest im tiefsten Sauerland spielt.

Kapitel 4. Samstag, 28.8.
And you will know us bei the trail of Kronkorken.
Oder: Ich war mit Tom Astor auf'm Klo, und ich schwöre es roch nach Weihrauch.


(Für alle, die den Anfang nicht mitverfolgt haben: Hier gibt's die komplette Geschichte von unten nach oben. Und wer die Sache aus Sicht der anderen Partizipienten lesen will: Hier der Herr Sportraucher, und da die Frau Blasebalch. Das nennt man dann Metablogging, oder so.)


9 Uhr
Mein Wecker sollte um 10 klingeln, ich bin aber schon um 9 wach. Wahrscheinlich liegt es daran, daß ich noch relativ viel zu tun habe. Den Synthie so programmieren, daß ich auf Knopfdruck durch unsere Setlist skippen kann. Die Haare aus meinem Gesicht entfernen. Meine Beine rasieren, falls ich doch einen Rock tragen sollte. Also, erstmal Frühstück, und dann los.

fruehstueck

Für Shhhh-Verhältnisse schon das Deluxe-Frühstück: 4fach Espresso, frischgepresster O-Saft und eine Kippe. Für den gesunden Start in den ereignisreichen Tag.

10.30 Uhr
Ich beschliesse, meinen Synthie um einen Spickzettel zu erweitern. Ja, das ist armseelig, irgendwie, aber andererseits bin ich nicht mehr der jüngste, und mir fällt es immer schwerer, eine eigens erdachte Notenfolge länger als 5 Minuten im Kopf zu behalten. Abgesehen davon: Gibt ja auch Sicherheit, so'n Spicker.

fake

In der Schule gelernt: Unauffällige Spickzettel. So merkt keiner, daß ich eigentlich garnicht weiß, was ich mache. Früher hab ich mir immer Nummern auf die Tasten und passend dazu auf die Finger gemalt, aber nach zwei Songs kommt man dann durcheinander.

11 Uhr
Frau Eriador taucht auf, um mir bei den Bühnenklamotten zu helfen. Dachte ich. Stattdessen führt sie mir ihre Neuwerwerbungen vor: Eine tolle Hose und ein paar coole Sneaker. Beides sehr sexy, aber das mag eher an Frau E. als an den Sachen liegen. Schlussendlich sucht sie mir dann doch noch ein passendes Ensemble aus, kommt aber nicht umhin, mir mehrmals an den Kopf zu werfen, daß ich einen beschissenen Schuhgeschmack habe. Was dabei jedoch vergessen wird: Schicke Schuhe in Größe 47 muss man erstmal finden...

13.30 Uhr
Mit einer eiskalten Cola und meinem präparierten Synthesizer bewaffnet, treffe ich durchgeschwitzt im Proberaum ein. Herr Bassist scheint die Nacht durchgemacht zu haben, zumindest sitzt er regungslos auf dem Boden, während Herr Sportraucher auf der Bassgitarre des Komapatienten rumzockelt. Ob das ein Versuch war, den Bassisten zu wecken, weiß ich nicht, aber es funktioniert auch nicht wirklich.

bassmann

Koma vom Vorabend. Herr Bassist versucht mittels Sportraucherequipment wieder wach zu werden.

14.40 Uhr
Wir haben nochmal das komplette Set durchgespielt, noch ein paar Songs hinten dran gepackt, und sind jetzt völlig durchgeschwitzt, aber Abfahrbereit. Eigentlich müssten wir uns jetzt umziehen, aber da Herr Bassist wohl irgendwie seinen Anzug verloren hat, bleibt's beim casual Jungrockstar-Outfit mit Jeans und T-Shirt. Wie gut, daß ich ein Mediengruppe Telekommander-Shirt trage: So kann ich wenigstens behaupten, wir wären die, falls irgendwas schief läuft. Erstaunliche Feststellung am Rande: Das komplette Equipment passt in den Kofferraum des Sportrauchermobils.

15.00 Uhr
Wir treffen an meinem Arbeitsplatz ein: Setlisten Ausdrucken, Gratis-CDs bekleben und die Anfahrt nach Schmallenberg raussuchen. Ich bemerke, daß der Zustand des Herrn Bassisten so desolat ist, daß er nichtmal mehr in der Lage ist, vernünftig im Internezz zu surfen. Die Schlussfolgerung: Hoffentlich spielt er nicht so Bass, wie er surft.

15.40 Uhr
Ready for Abfahrt. Vorher noch unsere neue Managerin Frau E. abholen, sie sich jedoch unverschuldet eine satte halbe Stunde verspätet. Herr Bassist pennt, Herr Sportraucher ist zappelig, und ich beschliesse, den Veranstalter anzurufen, um ihm zu sagen, daß wir uns ernsthaft verspäten werden. Ich will wissen, wann wir denn nun genau spielen, und er packt endlich mal Details aus: Wann wir spielen erfahren wir vor Ort, denn daraus ergibt sich wohl des Ranking der drei Gewinnerbands. Will heißen: Der drittplatzierte eröffnet, und der Sieger darf zuletzt. Interessante Nebeninformation: Soundcheck hat wohl schon stattgefunden, und es waren wohl insgesamt 28 Bands, die sich beworben haben. In der Jury saß unter anderem auch Tom "Weihrauch" Astor persönlich. Ich frage mich, ob wir das als Kompliment auffassen sollen, daß Tom Astor uns gut findet. Ich muß an die Mediengruppe Telekommander denken: "...das ist die Frage, die sich nicht stellt, wenn man dem Management so gut gefällt..."

16.15 Uhr
Frau E. taucht auf, entschuldigt sich vielmals, und wir rasen endlich los. Ted Leo dröhnt aus den Boxen. Unterwegs stellen wir fest, wieviel Gegend es doch im Sauerland gibt. Auch interessant: Ortschaften namens Hundesossen. Einmal Pommes Pudel bitte. Irgendwo auf halber Strecke wird Herr Bassist plötzlich wach und gibt dedizierte Fahrwanweisungen, die sich als richtig entpuppen. Wir beschliessen kollektiv, ihn ab heute nur noch Falk zu nennen.

 spmobiel

Le Sportrauchermobil macht seinem Namen alle Ehre!

17.12 Uhr
Eintreffen in Schmallenberg. Das Stadtfest scheint sich um den Marktplatz zu konzentrieren, der natürlich nicht so befahrbar ist, wie man sich das mit einem Haufen Equipment im Kofferraum wünschen würde. Ich steige aus, haste zur Bühnenrückseite, wo ein kleiner Container steht, der wohl der Backstageraum sein soll. Junge Menschen tummeln sich dort, die sich als Mitglieder der anderen beiden Bands entpuppen. Eine Band scheint einen Fanclub mitgebracht zu haben, denn überall rennen kleine Kinder und erwachsene Frauen mit Bandshirts rum, auf denen Kiss the Frog steht. Ein Verantwortlicher ist jedoch nicht zu finden. Ein Gespräch mit einem der anderen Musiker klärt einiges auf: Soundcheck gibt's gar keinen, nur den sogenannten Linecheck (also Soundcheck während des Auftritts), und wir sollen unseren Krempel mal ruhig in den Backstageraum stellen, da stünde übrigens auch Bier, und überhaupt sei das hier alles unter aller Sau, totales Chaos und so.

astoria

Man kann sich nur wünschen, irgendwann mal auch Fans wie Tom Astor zu haben. Die Jungs sind riesig! Und schwer in Ordnung.

17.30 Uhr
Der Wagen ist weggeparkt, das Equipment verladen, und wir werden endlich aufgeklärt. Leider nicht im sexuellen Sinne, sondern nur, was den Talentwettbewerb angeht. Wir spielen als zweite Band, folglich haben wir auch den zweiten Platz gemacht, sollen aber so tun, als wüssten wir von nichts. Man gibt uns 30 Minuten plus Umbauzeit, und wir sollen bloß nicht länger machen, weil Gott Astor pünktlich um 21 Uhr anfangen will. Unterdessen setze ich mich beim Gitarristen der erstplatzierten Band (das ist die mit dem Kinder- und Hausfrauenfanclub) in die Nesseln, da ich dachte, er wäre einer der Veranstalter. "Find ich merkwürdig, daß wir da mit den zwei andern Bands zusammen spielen sollen. Die sind ja so'n bisschen gefälliger und brav, und wir sind ja eher rotzig...". Tat ihm weh, und war von meiner Seite natürlich völlig unangebrachte Arroganz. Dennoch, wenn mir dieser Gitarrist dann sagt: "Ach, ihr habt was mit 170 BPM? Wir haben einen Kracher mit 200 BPM drin!!!", und letztendlich doch nur eine (zugegeben professionell gemachte) Art Balladenrock von der Bühne schallt, dann muß ich kein schlechtes Gewissen haben. Auffällig: Ich höre mehrmals, daß man ja eigentlich gar nicht bei solchen Wettbewerben mitmachen würde. Das sei ja ein bisschen peinlich und so. Kinders, warum seid ihr dann hier?

17.36 Uhr
"Ihr seid die Band, die wie Sportfreunde Stiller klingt?". Autsch, der tat weh.

 groupie

Schmallenberger Rockbraut. Man glaubt es nicht, aber wir machen Musik für alle Altersgruppen. Echt!


hose

Schmallenberger Rockboy. Oder eher Hosenboy. Frisch vom Bäcker, und Hose immer schön bis zur Brust rauf, damit noch was mit Schokobrötchen geht und so.

18.12 Uhr
Die erste Band ist zu Gange. Leider fängt's zu regnen an, aber wenn man "Rain doesn't matter" heißt, ist das ein ganz klares Eigenverschulden. Man muß den Schmallenbergern zu Gute halten, daß ihnen Regen nichts auszumachen scheint. Im Gegenteil, die Schmallenberger Dorfgemeinschaft hat sichtlich Spaß. Genauso wie die Band, die den Moderator der Veranstaltung (sowas wie der Schmallenberger Gerhard Meyer-Vorfelder in alt) zu Beginn ihres Gigs auf die Schippe nimmt. Ausser uns weiß das jedoch niemand, und deshalb war's auch nur halb so lustig. Lustig war jedoch Leder-Lotte, die immer ganz vorne am Bühnenrand stand.

leder

Leder-Lotte ist absoluter Musik-Fan, und steht immer ganz vorne, wenn irgendwo in Schmallenberg gerockt wird. Weil sie den Bands auf der Bühne gefallen will, geht sie manchmal an den Bühnenrand, um sich von ihrer Mutter eine Bürste zu leihen, und sich die Haare zu bürsten. Man muß ja auch gut aussehen, wenn man Groupie ist.

18.20 Uhr
Gerhard Meyer-Vorfelder will wissen, wie man uns ausspricht. Ich notiere ihm die Sachen in Lautschrift. Lä Märkrädi. Ihr seid aus Siegen? Jep, aber bitte nicht laut sagen, Sie wissen schon, die Feindschaft zwischen Sieger- und Sauerland. Ja, ja.

rain

Lustig: Die Sängerin von der Regenband hat die ganze Zeit so getan, als wär sie Französin. War sie aber nicht. Gerhard Meyer-Vorfelder und das Publikum sind drauf reingefallen, aber wir nicht, weil wir ja auch clever Kerls sind. Vorne sieht man einen kameramann, der wohl immer so getan hat, als würd er unsere Texte mitsingen, um bei Frau Eriador Eindruck zu schinden. Da der aber unsere Texte nicht kannte, muß das wohl sehr unbeholfen ausgesehen haben, und mit der Tour kann man natürlich nicht bei so Premium-Band-Managerinnen wie Frau E. landen. Da muss man schon richtig mitsingen, sonst gibt das nix...

18.34 Uhr
Wir sind dran. Ruckzuck ist das Equipment aufgebaut. Kurzer Line-Check, dann geht's los. In der Mitte Herr Sportraucher, rechts Falk der Bassist, und links ich. Meyer-Vorfelder stellt uns vor, spricht den Namen aus, und sagt wir seien aus Soest. Letztendlich packt uns dann doch der Lokalpatriotismus, und ich rufe "Siegen" rüber. Sportraucher legt los: "Guten Abend Schmallenberg, wir sind Tom Astor, und der nächste Song heißt 'Das glaubst nur Du!'"...

18.38 Uhr
...Liebes Schmallenberg, natürlich sind wir nicht Tom Astor. Aber wir wären gerne wie Tom Astor. Und der nächste Song heißt: "Besser nicht!"...

18.40 Uhr
Ich rutsche aus, weil der Bühnenboden naß ist. Peinlich sowas, vor allem, wenn man Keyboarder ist. Die sollten sich ja eigentlich nicht bewegen. Mittendrin registriere ich eine grinsende Frau Eriador und ein paar mitwippende Schmallenberger. Scheint ja doch anzukommen, unser Krach.

arbeit

So sah das aus! Alles nass und glatt, und gelbes Licht auf meinem Keyboard, und 'ne Nebelmaschine gab's auch. Links am Rand sieht man Frau E., die sich da wahrscheinlich ein bisschen für uns geschämt hat. Rechts am Rand ist Leder-Lotte, der das wohl zu wenig Rockmusik war, was wir da gemacht haben. Kann aber auch sein, daß die Falk den Bassisten toller fand, als Herrn Sportraucher und mich.

18.59 Uhr
...Irgendjemand im Publikum, der Paul heißt? Jep, Du hast Pech gehabt. Unser letzter Song heißt: Paul muss sterben!...

 buehne

Völlig lässig: Sportraucher mit Equipment auf der Bühne, dahinter ein erigierter Bassist.

19.03 Uhr
Abbau und Abmarsch. Unterdessen hat Frau E. ganze 17 CDs im Publikum verteilt. Blöderweise nur an Kinder, weil ich Vollidiot vollmundig irgendwas von Gratis-CDs ins Mikro genöhlt habe. Überhaupt muß mein Moderationsbeitrag sehr peinlich gewesen sein. Da herrscht noch Handlungsbedarf.

Die Sachen in den Wagen verstaut. Unterdessen kommt der eine Paul, der sich gemeldet hat, auf uns zu. Typ ichhaudireinerein. Ich ahne schreckliches, doch er sagt nur: Ne, keine Angst, ich heiße Freddie, hab euch verarscht! Haha. Trotzdem netter Kerl, wenn auch besoffen. Herr Sportraucher wird von irgendwelchen Musikmenschen aus Bremen angesprochen, riecht nach Kontakt, sagt mir aber in dem Moment nichts. Und dann mit ordentlich Backstage-Bier bewaffnet ab ins Publikum, um der Siegerband Kiss the Frog beim rocken zuzuschauen. Ist nicht ganz nach meinem Geschmack, weil irgendwie sehr steif, aber den Menschen gefällt's und da kann man ja dann nix sagen. Unterdessen treffen wir auf Frau Blasebalg, die nebst Mann und Wanderluder einen Ausflug ins Sauerland unternommen hat. Zum gucken kommen auch. Mit Herrn Sportraucher, Frau Eriador und mir sind also gleich vier Twoday-Content-Luder in Schmallberg anwesend, und das ist ein komisches Gefühl, denn keiner von uns hat so richtig Bloggertreffen-Erfahrung. Trotzdem alles sehr nett, und ich bin mal gespannt, was der Blasebalg-Safari-Tross so an Premium-Foto-Content fabriziert hat.

19.34 Uhr
Gerhard Meyer-Vorfelder ruft alle Bands auf die Bühne, denn jetzt gibt's die Preise. Wir müssen natürlich total überrascht tun. Ich bin sogar so überrascht, daß ich vergesse, Bier und Kippe aus der Hand zu nehmen, und nebenbei denke ich mir, daß wir irgendwie voll die Asi-Band sind, weil wir ständig mit Bier und Kippe rumlaufen. Zumindest gerade jetzt und hier, auf der Bühne, bei der Preisverleihung. Aber der Gedanke gefällt, da so ein bisschen respektlos zu sein, wenn alle einen auf brav machen. Die Kollegen von der Regen-Band sind auch total überdreht, und rasten natürlich vollends aus, als sie Ihren Preis in Empfang nehmen: Ein Essen für die ganze Band. In Schmallenberg. Ich nöhle von hinten: Hier, nicht alles auf einmal ausgeben und so! Und jetzt seid ihr Stars. Erst Schmallenberg, dann Top Of The Pops! Dann sind wir dran. Der zweite Platz. Der zweite Preis. Ich vermutete, es würden zwei Essensgutscheine sein, weil das ja nur logisch ist, aber Gerhard Meyer-Vorfelder verbessert mich: Ein Hotelgutschein für die Band. Riesenfreude bei uns, und die hämischen Lacher, die wir den Essensgutscheingewinnern eben entgegenbrachten, kommen ohne Umwege zurück. Und dann die Erstplatzierten, die lieben: 3 Stunden Tonstudio mit Tommy Astor! Man fasst es nicht. Auch wenn sowas im ersten Moment zur Schadenfreude animiert, bin ich doch ernsthaft neidisch, denn ich hätte unsere Elektropunkmusik gerne mal der Countryfraktion um die Ohren gedonnert. Sowas kann unter Umständen wirklich befruchtend sein, und das ist mein ernst. Dennoch, ein Lachen kann man sich da trotzdem nicht verkneifen...

20 Uhr
Der Spuk ist vorbei. Die Sieger durften noch mal zocken, ich hätte mich gefreut, wenn wir so im Community-Sinne alle auf der Bühne geblieben wären, und ganz Schlager-Grand-Prix-Like mitgeschunkelt hätten, so im Sinne von "Wir sind doch alle Sieger!", aber den Schmallenberger Veranstaltern war das wohl nicht so recht. Dafür konnten wir aber die gelegenheit gut nutzen, mit den drittplatzierten rumzufrotzeln. Herr Sportraucher ließ es sich auch nicht nehmen, hier und da mit den Sängerinnen rumzuflirten, während unsereins erst ein Autogramm von Tom Astor abzwackte, und dann auch noch der lebenden Legende auf der Herrentoilette gegenüber stehen durfte. Auffällig: Herr Astor riecht nach Weihrauch, und wäscht sich nach dem Pinkeln nicht die Hände. Auch auffällig: Innerhalb von nur 30 Minuten füllte sich der Marktplatz zum bersten mit Tom Astor-Fans. Wenn die mal wüssten, was der für eine Pottsau ist!

Apropos Fans: Ein kleiner Junge namens Tobias will ein Autogramm von uns. Gibt's natürlich auch. Ich werde jedoch pampig, als er auch Autogramme von den anderen Bands will. Klein-Tobi macht seinen Faux-Pas aber wieder wett, als er lauthals bekundet, daß wir doch viel besser als Tom Astor sind. Mir fällt jedoch auch auf, daß ich gerade mit dem Stift ein Autogramm gegeben hab, mit dem Torsten Astor mir zuvor bereits eins gegeben hat, und in Anbetracht der Tatsache, daß der Mann sich nach dem pinkeln nicht die Hände gewaschen hat, fühle ich mich ein wenig schmutzig. Mir fällt jedoch wieder ein, daß der Stift ja gar nicht mir gehört, sondern Frau E., und ich gebe ihn ihr dankend und mit einem netten Lächeln wieder zurück. Jetzt erstmal Hände waschen...

groupies

Im Gegensatz zu uns hatte Frau Eriador Fans. Diese beiden Damen hier haben wohl die ganze Zeit mit offenen Mündern vor Frau E. gestanden. Ich vermutete zuerst, daß es daran liegen könnte, daß Frau E. mit uns Rocksäuen rumhängt, aber letztendlich lag's wohl eher an ihrer Fesslungskraft, der ich ja auch irgendwie erlegen bin.

22 Uhr oder so
Abfahrt gen Heimat, mit Volldröhnung Angelika Express zum mitsingen, netten Bekanntschaften, einem Gutschein, einem Autogramm und jeder Menge Erfahrung im Gepäck. Und so sehr sich diese letzten drei Tage nach Provinz-Bashing deluxe anhören mögen: Wir würden den Spaß für Spritgeld und eine Kiste Bier jederzeit wieder mitmachen. Weil Stadtfeste rocken rockt. Sag ich jetzt mal so.

spiegel online

Die Schmallenberger Jugend lässt sich nur ungern fotografieren. Wenn man jedoch auf die Frage, für was das Foto denn sei, lauthals "Is für Internezz. Spiegel online." antwortet, werden die Jugendlichen ganz fotogen, und wollen gleich mehrmals abgelichtet werden. Am Schluss muß man denen dann noch auf Nachfrage hin buchstabieren, dass die Internezz-Adresse www.spiegel.de ist, und alle sind glücklich. Schmallenberg-Premium-Content. Ab Montag im Internezz. Jawohl!

Epilog:
Mein Dank geht zu allererst an meine herzallerliebste liebe Frau Eriador, die uns dazu ermutigt hat, das alles mitzumachen, und letzttendlich auch dafür gesorgt hat, daß es uns überhaupt noch gibt, und das wir heil nach Hause gekommen sind. Dann natürlich an meine werten Bandkollegen Herr Sportraucher und Falk Bassist, die mich immer wieder mit großem Stolz erfüllen. Es ist mir eine Ehre, mit diesen beiden Dreckskerlen Musik machen zu dürfen. Dank auch an Frau Blasebalch für den Regionalsupport. Und danke an die Jungs und Mädels von Rain doesn't matter für den regen Erfahrungsaustausch und das amüsante Astorbashing. Kein Dank geht an den Veranstalter. Wir hatten "Evian" auf dem Rider stehen, und es gab nur Reginaris. Das ist nicht nett. Dank aber an die Stadt Schmallenberg. Tolles Publikum, Superbühne, und jede Menge Premium-Weblogcontent. Kann ich jedem empfehlen. Wir kommen wieder. Und dann nehmen wir die Bühne auseinander. Oder das Hotelzimmer.

Edit:
Und falls jetzt immer noch jemand nicht weiß, wer die Band ist. Bitteschön!.

Ein Selbstversuch: Die Erlebnisse einer fast gescheiterten Deutschpopband, die ein halbes Jahr weder gespielt, noch geprobt, zwischenzeitlich den Drummer verloren, und gestern Abend erfahren hat, daß sie übermorgen Abend als Gewinner eines Talentwettbewerbes auf einem Stadtfest im tiefsten Sauerland spielt.

Kapitel 3. Freitag, 27.8.
Kann ich bitte noch ein Bier...


8.45 Uhr
Schon wieder war der Herr Sportraucher früher wach, Olympia guckend. Zumindest bin ich davon ausgegangen, als ich die Deutsche Nationalhymne aus meinem Wohnzimmer schallen hörte. Aber: Heute mal halbwegs fit in den Tag zu starten hat auch was für sich. Das bestätigte sogar der Herr Sportraucher, der von meinen nächtlichen Backingkorrekturen anscheinend gar nichts mehr mitbekommen hatte.

10 Uhr
Seit einer Stunde im Büro. Plötzlich ein Anruf. Der Veranstalter. Ob wir nicht unser Schlagzeug mit den zwei anderen Bands teilen könnten, damit es weniger Umbaupausen gibt. Ich muß heftig lachen. Hätte der gute Mann mein Fax vom Vortag gelesen, wüsste er, daß wir keinen Drummer haben. Alles aus der Konserve, sage ich, sorry! Er schwärmt noch ein wenig von der Profitechnik, die uns dort in der sauerlänischen Provinz erwartet, und wie toll doch das Personal sei. Und da werden in meinem Hinterkopf wieder Erinnerungen wach, an die Profimischer, die uns letztes Jahr immer wieder mit großen Worten bestätigten, wie gut sie doch an den Reglern seien. Und dann aber immer wieder scheiterten, wenn es um die Elektronik ging. Mischpultmänner sind gescheiterte Rockmusiker, das ist Fakt. Und Rockmusiker haben ein Problem mit Elektronik, das ist auch Fakt. Und in Anbetracht des Schmallenberg-Gigs macht es mir Angst, zu wissen, daß der Mann, der TOM ASTOR mischt, auch uns mischen wird. Obwohl: Elektrocountry wäre ja mal ein neuzuerfindendes Genre.

12.17 Uhr
Mittagspause mit meinem Kollegen, der nächste Woche in Urlaub fährt. Ein quasi Ausstand beim China-Imbiß. Ich bin völlig aufgedreht, wahrscheinlich, weil ich so gut geschlafen habe. Auf dem Weg zum Imbiß steht unser Hausfotograf mit seinem Passat an der roten Ampel. Ich renne rüber, steige hinten bei ihm ein, und auf der anderen Seite wieder aus. Die erste Selbstbewusstseinsübung vor dem großen Schmallenberg-Gig entpuppt sich als gelungener Lacher bei ein paar Bankern, die wahrscheinlich nicht lachen würden, wenn sie wüssten, wie mein Kontostand bei ihrer Bank aussieht.

In einem Anfall von Übermut kaufe ich mir ein paar neue Sneaker. Schick für's Konzert. Und um Frau E. zu beeindrucken. Schuhe sind wichtig, hab ich in der Bild der Frau gelesen...

14 Uhr
Ein kurzes E-Mail-Geschäkere mit der herzallerliebsten Frau E., die sich jetzt auch eine Katze zulegen will, lenkt mich von meiner ansteigenden Nervosität ab. Praktisch ist so eine Katze ja schon, zumal man dann immer Premium-Weblog-Content hat, wenn mal kein Konzert ansteht.

15.54 Uhr
Mein Versicherungsmakler macht auf beleidigte Leberwurst. Eigentlich hätte er heute einen Termin mit mir gehabt. So wie die letzten 8 Wochen auch. Aber da ich ihm die letzten 8 Wochen regelmässig abgesagt habe, muss ich diese Tradition fortführen, und ihm heute schon wieder absagen. Denn. Schmallenberg geht vor Hausrat-Zusatz.

16.30 Uhr
Die Probe beginnt. Anwesend ist auch Nico, der mit 2.80 Meter wohl größte, mit 19 Jahren aber auch jüngste Türsteher der Welt. Ich nenne Nico immer Ingo, habe aber bis jetzt noch nicht begriffen, warum ich das tue. Ingo ist völlig begeistert von den neuen Songs, und geradezu erschrocken darüber, daß wir die so perfekt drauf haben, obwohl wir doch erst seit einem Tag proben.

 ingo

Das ist Ingo. Oder Nico. Ich weiß es nicht mehr. Er ist 3.50 Meter groß. Wenn er sitzt, und von unserer Musik ergriffen ist, macht er sich jedoch so klein, daß er kaum größer als eine Bierkiste ist. Das Bier heißt übrigens "Schlappe Seppel", und den Rest kann man sich denken.

ca. 20 Uhr
Frau E. taucht auf, schaut sich die Probe an, und läßt ein paar kritische Anmerkungen verlauten, die streckenweise durchaus berechtigt sind. Als in meinen Augen größte Kritikerin zählt ihr Wort natürlich doppelt und dreifach, und wenn sie sagt: "Hoffentlich geht ihr auf der Bühne genauso aus Euch raus wie hier!", dann hat man das ernstzunehmen.

raucher

Wenn man mal genau auf den Amp vom Herrn Sprtraucher guckt, weiß man auch, warum er sich so nennt. Denn das gute Stück war mal schneeweiß, und ist jetzt nikotingelb. Und wenn man das teil auf den Kopf stellt, kann man sich eine ganze Stange Zigaretten aus dem herausfallenden Tabak drehen. Bestimmt.

ca. 23 Uhr
6 Stunden geprobt, völlig durchnässt, satt von ranzigen Fritten und diversen Bieren. Fix und fertig. Irgendwas in mir ruft nach Bett. Nervös? Nö. Nur ausgelaugt. Aber zufrieden. Die Setlist steht wie ein Brett. 10 Songs machen 34 Minuten Elektrorocknroll. Keine Zeit zum durchatmen.

Ein Selbstversuch: Die Erlebnisse einer fast gescheiterten Deutschpopband, die ein halbes Jahr weder gespielt, noch geprobt, zwischenzeitlich den Drummer verloren, und gestern Abend erfahren hat, daß sie übermorgen Abend als Gewinner eines Talentwettbewerbes auf einem Stadtfest im tiefsten Sauerland spielt.

Kapitel 2. Donnerstag, 26.8.
Wenn das nicht klappt, hör ich mit dem Musikmachen auf. Oder ich gründe eine Coverband. Das ist schlimmer als aufhören!


- Leider keine Fotos, Kamera vergessen! -

8.15 Uhr
Ich höre ein Rumpeln in meinem Badezimmer, schrecke auf, beschliesse dann aber doch noch liegenzubleiben, weil selbst das lauteste Rumpeln kein Grund ist, nach 3 Stunden Schlaf wieder aufzustehen.

8.45 Uhr
Das Rumpeln entpuppt sich als Kollege Sportraucher, der seinen zugewiesenen Schlafplatz wohl schon früher verlassen hatte, und völlig frisch in meinem Wohnzimmer sitzt, um Olympia zu gucken. Daß mir das als Morgenmuffel natürlich komisch vorkommt, kann er nicht wissen, aber wir wohnen ja auch nicht zusammen.

9.08 Uhr
Ich erreiche - mit Keyboardständer, meinem Lieblingssynthesizer und dem Multitrackrekorder im Schlepptau - das Büro. Die Equipmentschlepperei müssten eigentlich längst andere machen, aber in Zeiten einer kollabierenden Musikindustrie, die Hits wie "Dragostea Din Tei" gleich doppelt und dreifach rausbringt, darf man sowas nicht mehr erwarten. Ganz im Gegenteil: Ich bin mir sicher, daß im Tonstudio generierte Projekte wie Haitschi! (oder wie auch immer die heissen) gar nichts an Equipment haben, was transportiert werden müsste. CD mit dem Playback, und fertig. Sowas sollten wir auch mal machen...

9.46 Uhr
Erste Google-Recherchen liefern faszinierende Fakten zu unserem "Erfolg". Schmallenberg ist eine kleine Stadt im Sauerland. Die Schmallenberger-Woche, so der Name des Stadtfestes, findet von Mittwoch bis Sonntag statt. In diesem Rahmen treten auch die Sieger des WDR-Talentwettbewerbes auf, am Samstag, um 18 Uhr. Auf der gleichen Bühne, auf der auch der legendäre Tom Astor nebst Band kaum drei Stunden später die Massen begeistern wird. Und: Der aAuftritt auf der Bühne ist eigentlich der Hauptgewinn. Zwar schreibt der WDR auf seiner Homepage irgendwas von "weiteren Preisen", aber wenn ich darüber nachdenke, will ich eigentlich gar nicht wissen, was die weiteren Preise sein könnten.

10.15 Uhr
Mein Büro-Itunes nudelt unentwegt unsere Setlist runter. Ich kann und will mich gerade gar nicht auf die Arbeit konzentrieren. Und in gewisser Weise bin ich da auch neidisch auf die Kollegen Sportsänger und Bassist, die jetzt zu Hause im Bettchen liegen und brav schlummern. Aber was soll's. Stundenten halt. Die dürfen das.

13 Uhr
Anruf vom WDR. Man gibt mir die Kontaktdaten für den technischen Verantwortlichen durch. Dem muß ich unseren Rider schicken. Für alle Nichtmusiker: Ein Rider ist eine lose Blattsammlung, auf der genau steht, was wir vorzufinden haben, wenn wir die Bühne betreten. Also im technischen Sinne. Monitorboxen, wieviel Kabel gehen von uns in das Mischpult wieviel kommen zurück, etc. Da wir ja letztes Jahr fast den Durchbruch hatten, sieht unser Rider natürlich voluminös aus. Viel zu voluminös für Schmalleberg. So voluminös, daß wir neben den technischen Angaben auch einen kulinarischen Rider mit genauer Auflistung unserer Ess- und Trinkgewohnheiten haben. Und einen Stageplot, also eine Anleitung, wo was auf der Bühne zu stehen hat. Natürlich war da noch überall unser Drummer vermerkt, und den aus allen angaben rauszukürzen, hat zur Folge, daß wir plötzlich nur noch 2 statt 3 Blätter mit Angaben benötigen. Das Ding sieht dennoch viel zu überzogen aus, und während ich die Zettel nach Schmallenberg faxe, frage ich mich, was der Veranstalter wohl denken wird, wenn eine "Nachwuchsband" 6 Flaschen Evian, ausreichen Bier, Buffett und einem Metallica-Konzert Konkurrenz machende Technik fordert.

13.30 Uhr
Die Schmallenberger Online-Presse wird auf uns aufmerksam. Unterdessen wird auch eine andere, bekannte Online-Publikation auf die Freakshow aufmerksam, was zusätzliche Nervosität mit sich bringt. Dazu aber nächste Woche mehr.

15 Uhr
ich werde nervös. In knapp 3 Stunden beginnt die Probe, und ich hab keinerlei Ahnung, was ich zu meinen eigenen Songs spielen soll. Klar, das Viertel-Playback auf dem Multitrackrekorder macht die Sache für mich bequem, denn eigentlich müsste ich nichts mehr spielen, aber nur gelangweilt rumstehen ist ja dann auch eher Haiduci als Elektropop. In einem Anfall von Panik packe ich mitten im Büro den Synthesizer aus, und fange an, auf wahllossen Zetteln Sounds zu notieren, die ich live benutzen könnte. Das ist harte Konzentrationsarbeit, die ich eigentlich in den Proben machen müsste, aber wenn man eben ein halbes Jahr lang nicht mehr geprobt hat, und dann nur noch zwei Tage Zeit hat, 10 Songs einzuüben, wird's ein wenig knapp.

16.07
Ich breche nach dem dritten Song ab. Zum einen, weil der Durchgangsverkehr hier im Büro einfach zu groß ist, und ich mir ein wenig dämlich vorkomme. Zum anderen, weil ich aus anderen Gründen völlig unkonzentriert bin, und diese erstmal für mich klären will (keine intimen Details hier).

17.17 Uhr
Herr Sportraucher und Herr Bassist tauchen auf. Der Wagen wir vollgepackt, und so bedauerlich es auch ist, keinen Drummer mehr zu haben, so entspannend ist es auch, zu sehen, daß man plötzlich mit einem Auto auskommt, um das ganze Equipment nebst Band und Bierkasten durch die Gegend zu fahren. Als wir letztes Jahr die kleine Tour hatten, waren grundsätzlich entweder mindestens zwei Autos oder ein Großraumtransporter von Nöten, und in Anbetracht der geringen Gagen, die man heute bekommt, mussten wir eigentlich immer draufzahlen, wenn's um benzin oder Automiete ging. Zumal: Mit einem nagelneuen, bei einem meiner Kunden geliehenen Chrysler Voyager inkl. elektrischer Türen und abgedunkelter Fenster in einer der schlimmsten Ecken Düsseldorfs rumzugondeln - letztes Jahr - hatte ebenfalls soviel Rockappeal wie Haiducevapcic.

17.47 Uhr
Das Leben ist nicht leicht, wenn man einen vergesslichen Bassisten hat. Im schlimmsten Falle muß man multiple Fahrten in selbe Richtungen in Kauf nehmen. Wegen vergessener Mikrofonklemmen. Aber was soll's! Es siite in schönes Gefühl, wieder als "Band" im Auto unterwegs zu sein - nach so langer Zeit. Ich erzähle von meinen Google-Recherchen, und das ich mittlerweile auch weiß, wer die anderen zwei Bands sind. Bemerkenswerterweise ist die Auswahl der Jury mal wieder mehr als fragwürdig. Das ist so eine Sache, die uns letztes Jahr immer wieder passiert ist: Mit Bands, zu denen wir gar nicht passen, auf eine Bühne gestellt zu werden. Die beiden Mitbewerber kommen aus dem Rockumfeld, und haben Frontfrauen, die sich sehr ähnlich klingen. Was Herrn Sportraucher, der ja erklärter Single ist, natürlich ein Lächeln auf die Lippen zaubert, mir wiederum ein wenig zu denken gibt. Im Sinne von: Da stehen zwei Bands auf der Bühne, die für meinen Geschmack sehr, sehr gleich klingen. So eine mischung aus Die Happy und Die Happy. Und dann wir, als die deutschsprachigen Pet Shop Boys in laut, mittendrin. Kann das funktionieren?

Ich erzähle vom "Überraschungsgewinn", und bei den anderen Herren bricht Panik aus. "Jetzt stell Dir vor, die sagen: 'Hey, ihr habt zwei Wochen Studioaufenthalt bei einem legendären Produzenten in Leverkusen gewonnen. Der hat sogar mal Kraftwerk produziert'!!!"...

(Hintergrund: Besagter Produzent sollte letztes Jahr unsere Debüt-Single produzieren. Die Sache ging jedoch dermassen daneben, daß das Label dann eine relativ hohe Rechnung auf unsere Kosten hatte, und wir nicht wie wir, sondern wir Haiduci... nein, wie Klaus Lage klangen. Ein Debakel, daß letztendlich zu unserem Labelrausschmiss führte.)

"Dann würd ich mit dem Musikmachen auf der Stelle aufhören!", entgegne ich. "Und ich mach ne Coverband auf. Das ist schlimmer als aufhören!" unkt Herr Bassist. In einem Roman würde jetzt sowas stehen wie: Und wir lachten.

Und wir lachten!

19 Uhr
Den neuen Proberaum eingeweiht, die ersten drei nagelneuen Songs sitzen perfekt, darunter ist einer, den wir gleich mehrmals spielen wollten, weil er einfach Spaß machte. Herr Bassist singt zum ersten mal Backingvocals mit, auch ich bin wesentlich unverkrampfter. Herr Sportraucher, der sich sonst hinter seiner Gitarre versteckt, wenn er singt, geht aus sich raus, da bei einigen Nummern keine Gitarre gebraucht wird. Es rockt. Wie sau. Wir kommen erstaunlich schnell voran, fast schon zu schnell. Da muß irgendwo ein Haken sein. Kein erkennbarer, aber das hier ist alles zu perfekt und zu rund.

20.30 Uhr
Erst jetzt merken wir, daß wir gerade 8 neue Songs OHNE DRUMMER gespielt haben, und das es keinem von uns aufgefallen ist. Meine zusammengezimmerten Drumbackings machen sich gut, ich selbst bin seit langem mal wieder stolz auf meine Arbeit, da in diesem reduzierten Kontext meine Elektronik endlich das ist, was sie immer sein sollte, aber live nie sein konnte: Das Hauptmerkmal unserer Musik. Ein paar Nummer entpuppen sich als absolute Mit- und Abgeher, von denen man nicht genug bekommt, unter anderem das gerade mal ein paar Tage alte "Das letzte Deiner Art - Sprengkommando Dieter Bohlen", welches in musikalischer Hinsicht eine Hommage an die frühen "Der Plan"-Sachen ist. Allerdings weiss nur ich das, denn Herr Sportaraucher und Herr Bassist sind ja keine Elektroniker.

23.00 Uhr
Die erste Probe ist durch. Wir sind rundum zufrieden. Es gibt noch ein paar kosmetische Korrekturen in den Backings, die ich mache, während Herr Sportraucher wieder auf dem Sofa nächtigt und Herr Bassist die Siegener Gastronomie unsicher macht. Gegen 1.30 Uhr gehe ich zufrieden aber völlig geschafft ins Bett, und freue mich - soweit ich das in Anbetracht der anderen, hier nicht erwähnten Sorgen, die unentwegt durch meinen Kopf schwirren, noch kann - auf den morgigen Tag, die morgige Probe, und den Gig. Aber generell ist es so, daß die nächste Probe nur schlecht werden kann, denn das ist bei so einem gelungenen Einstand immer so. Vielleicht der Haken, den wir die ganze Zeit suchen.

Ein Selbstversuch: Die Erlebnisse einer fast gescheiterten Deutschpopband, die ein halbes Jahr weder gespielt, noch geprobt, zwischenzeitlich den Drummer verloren, und gestern Abend erfahren hat, daß sie übermorgen Abend als Gewinner eines Talentwettbewerbes auf einem Stadtfest im tiefsten Sauerland spielt.

Kapitel 1. Mittwoch, 25.8.
Mein Heroin ist alle und die Mauer ist weg!

20.13 Uhr

Als das Handyklingeln das Gespräch zwischen der herzallerliebsten Frau E. und mir unhöflich unterbrach, wurde ich stutzig. Eine mir gänzlich unbekannte Nummer versuchte mich zu kontaktieren, und gänzlich unbekannte Nummern verheissen eigentlich nichts Gutes. Im Regelfall Morddrohungen, Geldprobleme, geplatzte Drogendeals oder falsch verbundene oder gar perverse Gesprächsteilnehmer.

"Hallo, hier ist M. vom WDR, ihr seid einer der Gewinner unseres Talentwettbewerbes, seid unter den ersten Dreien, und dürft am Samstag in Schmallenberg spielen."

20.15 Uhr

Fragen über Fragen machen sich in meinem Kopf breit. Auf Liegestühlen so groß wie Allradfahrzeuge. Wieso ist in 3 Tagen schon Samstag? Wann soll ich die Elektronik programmieren? Wieso haben wir die letzten 6 Monate nicht geprobt? Kann das ohne Drummer überhaupt gut gehen? Wieso ausgerechnet wir? Und was ist Schmallenberg? Unzufriedenheit strahlt aus meinem Gesicht, und Frau E. ermuntert folgerichtig mit dem Hinweis, daß wir den Arsch nie wieder hochkriegen werden, wenn wir die Chance nicht wahrnehmen. Ein Anruf bei Herrn Sportraucher, der unser Sänger ist, sorgt für mehr Konfusion als Aufklärung.

20.20 Uhr

Ich nötige Frau E., mir bei einer Setlist zu helfen. Wie Frauen nun mal so sind, schafft Sie es gleichzeitig den Ikea-Katalog durchzublättern, ihren eher zermürbenden Tag in Worte zu fassen, die passenden Kommentare zu den ausgewählten Songs abzuliefern und eine erste Setlist zu Papier zu bringen. In exakt dieser Zeitspanne gelingt es mir gerade mal, eine Zigarette anzustecken. Und das auch nur mit großer Mühe. Bilder von Flugzeugabstürzen, Autounfällen und schwarzen Unterhosen geistern durch meinen Kopf, als Frau E. sich lauthals über das 119,- Euro günstige Bettgestell von Ikea auslässt.

ca. 21 Uhr

Meine Liebe Frau E. verlässt mich. Zum Glück nur für diesen Abend. Anders wäre überhaupt nicht gut. Ich habe eine lange Nacht vor mir, so viel steht fest. Backings programmieren. Den Drummer ersetzen. Letztendlich also die musikalische Basis der Songs aus der Setlist auf einen Mehrspurrekorder ziehen, sodaß bei Konzerten der Mann am Mischpult zum einen die Elektronik, zum anderen dir Drums nachbearbeiten kann. Scheißarbeit. Kann man mit dem sortieren eines buntgemischten Haufens Legosteine vergleichen. Nach Farbe und Form. Am Schluss ist man froh, daß man sowas geschafft hat, aber der Weg dahin ist schwer, müssig und irgendwie auch nur was für Menschen, die wohl auch Freude am Briefmarkensammeln haben. Wobei: das hab ich auch mal. Da war ich 10 oder so. Die erste Aufreissmasche. Aber da ist eine andere Geschichte.

Herr Sportraucher klingelt an. Will Details wissen. Ich weiß keine Details. Ich weiß ja noch nichtmal was genau Schmallenberg ist. Fragt, ob er vorbei kommen soll. Ich denke kurz nach, aber es kommt mir wie eine Ewigkeit vor. Eine Arbeit, die ich die letzten 2 Jahre alleine gemacht hab, ohne Zugucker. Warum sollte ich diese Einstellung nicht auch ändern, wenn mittlerweile sowieso alles anders ist. Ich sage ja, und Herr Sportraucher will in versprochenen 10 Minuten da sein.

21.45 Uhr

Herr Sportraucher erscheint. Völlig aufgeregt. Er erzählt mir etwas von seinem Tag, aber ich bin mehr oder minder in die Backings vertieft. Eher mehr als minder. Er erweist sich als nachsichtig, will zwischendurch auch ein paar Knöpfe drücken, darf aber nicht, weil Knöpfedrücken mein Job ist. Er soll singen, nicht drehen und drücken.

setlist les mercredis

ca. 5 Uhr

Mittlerweile sind die Backings alle funktionstüchtig im Multitrackrekorder, Herr Sportraucher funktionsuntüchtig auf dem Sofa, und Herr Bassist munter auf meinen Stuhl, während ich irgendwo am Boden krieche. Wie es mir geht? Mein Heroin ist alle und die Mauer ist weg. Herr Bassist, der irgendwann auch auftauchte, hört sich noch ein mal eine der Nummern an, vor denen er Angst hat. Und da fällt es mir auch auf: 8 der 10 Nummern auf dieser eben spontan zusammengestellten Setlist haben wir noch nie gespielt. Geschweigedenn geprobt. Geschweigedenn gelernt. Die Konsequenz: Heute und Morgen wird wohl die mitunter härteste Bandprobe stattfinden, die diese Stadt je gehört hat. Für Schmallenberg. Für Samstag. Für's Stadtfest, irgendwo im tiefsten Sauerland. Erwähnte ich bereits, daß mein Heroin alle ist...

 

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