Gestern Abend erzählte mir ein guter Freund, daß ein Bekannter von ihm gerade aus Toronto zurückgekehrt sei, und es dort tagelang um die -30 Grad Celsius gewesen seien. Und das währe ja wohl traumhaft. Seine ideale Betriebstemperatur. Er, also nicht der aus Toronto, sondern der gute Freund, ist einer von denen, die in den 68ern hängen geblieben sind. Er wacht auf, wenn man ihm was von Dylan vorspielt, er hat sicherlich auch mal LSD genommen, er würde Kiffen, wenn man ihm etwas passendes anbieten würde. Und er hat diesen merkwürdigen Alt68er-Spleen, über den ich mich gerne und oft und viel aufrege. Diese völlig heterogene, sich nicht unter einen Hut bringen lassen wollende Mischung aus Spießerdenke und Freigeist(igkeit). Das äussert sich in kleinen Anomalien wie: "Kiffen ja, aber wenn Frauen auf der Straße rauchen find ich das garnicht gut!". Er gehört zu denen, die das ganze Jahr über die SPD schimpfen, dann aber aus Gewohnheit trotzdem die Genossen wählen. "Das kleinere Übel", heißt es dann immer. Und ich als klassisches Gastarbeiterkind gucke dann immer verstört...

Dieser Freund proklamierte also gestern Abend lauthals, daß ihm erst zweistellige Minusgrade Lebensfreude bereiten würden. Und daß er sich noch gut an die Zeit erinnern könne, als es hier auch mal - 28 Grad Celsius waren. Obwohl er normalerweise amnetisch durch's Leben trottet, gerne Namen und Gesichter vergisst oder verwechselt oder beides, konnte er sich an diese Nacht, die wohl "irgendwann in den 80ern war" erinnern. Weil in jener Nacht sein Hahn erfroren ist. Als er das erzählte, konnte ich das erste Mal in meinem Leben spüren, wie sich "Wie Bitte!?!" auf/in/an meiner Gesichtsmuskulatur anfühlte. Und das Gespräch wurde noch besser.

Er: "Ja, ich weiß nich. Also ich hab den damals irgendwie draussen vergessen. Die Hennen hab ich alle in den Stall gebracht, und die Ritzen und Öffnungen vom Stall schön mit Kartoffelsäcken zugehangen, damit die Viecher nicht frieren. Und die haben's auch überlebt. Aber der Hahn, den hab' ich dann am nächsten morgen gefunden. Und da war erstmal Panik angesagt. Der Kamm war ganz blau, und ich hab den dann ins Bad gebracht, und Decken drübergeworfen und den geföhnt, aber der ist trotzdem krepiert. Und dabei war das so ein schönes Tier!"

Ich: "Du hättest ihn doch gleich in den Backofen schieben können. Dann hättet ihr beide was davon gehabt..."

Er: "Nee, Tiere die so verenden soll man ja nicht essen. Abgesehen davon war das auch garnicht so schlimm, weil die Sau ein Arsch war. Der war immer so bissig, hat ständig rumgehackt. Dreckstier. Ich glaube, die Hennen haben sich auch gefreut, daß der nicht mehr da war, weil der sich nämlich immer wie ein Arsch benommen hat. War ständig auf denen drauf. Ein richtiger Hengst."

Irgendwie hat mich die Geschichte um den Hahn, der ein schönes Tier aber ein Arschloch war, und deshalb zurecht erfroren ist, den Rest des Abends beschäftigt. Wahrscheinlich, weil mir kalt war.

 

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