Ein Selbstversuch: Die Erlebnisse einer fast gescheiterten Deutschpopband, die ein halbes Jahr weder gespielt, noch geprobt, zwischenzeitlich den Drummer verloren, und gestern Abend erfahren hat, daß sie übermorgen Abend als Gewinner eines Talentwettbewerbes auf einem Stadtfest im tiefsten Sauerland spielt.

Kapitel 1. Mittwoch, 25.8.
Mein Heroin ist alle und die Mauer ist weg!

20.13 Uhr

Als das Handyklingeln das Gespräch zwischen der herzallerliebsten Frau E. und mir unhöflich unterbrach, wurde ich stutzig. Eine mir gänzlich unbekannte Nummer versuchte mich zu kontaktieren, und gänzlich unbekannte Nummern verheissen eigentlich nichts Gutes. Im Regelfall Morddrohungen, Geldprobleme, geplatzte Drogendeals oder falsch verbundene oder gar perverse Gesprächsteilnehmer.

"Hallo, hier ist M. vom WDR, ihr seid einer der Gewinner unseres Talentwettbewerbes, seid unter den ersten Dreien, und dürft am Samstag in Schmallenberg spielen."

20.15 Uhr

Fragen über Fragen machen sich in meinem Kopf breit. Auf Liegestühlen so groß wie Allradfahrzeuge. Wieso ist in 3 Tagen schon Samstag? Wann soll ich die Elektronik programmieren? Wieso haben wir die letzten 6 Monate nicht geprobt? Kann das ohne Drummer überhaupt gut gehen? Wieso ausgerechnet wir? Und was ist Schmallenberg? Unzufriedenheit strahlt aus meinem Gesicht, und Frau E. ermuntert folgerichtig mit dem Hinweis, daß wir den Arsch nie wieder hochkriegen werden, wenn wir die Chance nicht wahrnehmen. Ein Anruf bei Herrn Sportraucher, der unser Sänger ist, sorgt für mehr Konfusion als Aufklärung.

20.20 Uhr

Ich nötige Frau E., mir bei einer Setlist zu helfen. Wie Frauen nun mal so sind, schafft Sie es gleichzeitig den Ikea-Katalog durchzublättern, ihren eher zermürbenden Tag in Worte zu fassen, die passenden Kommentare zu den ausgewählten Songs abzuliefern und eine erste Setlist zu Papier zu bringen. In exakt dieser Zeitspanne gelingt es mir gerade mal, eine Zigarette anzustecken. Und das auch nur mit großer Mühe. Bilder von Flugzeugabstürzen, Autounfällen und schwarzen Unterhosen geistern durch meinen Kopf, als Frau E. sich lauthals über das 119,- Euro günstige Bettgestell von Ikea auslässt.

ca. 21 Uhr

Meine Liebe Frau E. verlässt mich. Zum Glück nur für diesen Abend. Anders wäre überhaupt nicht gut. Ich habe eine lange Nacht vor mir, so viel steht fest. Backings programmieren. Den Drummer ersetzen. Letztendlich also die musikalische Basis der Songs aus der Setlist auf einen Mehrspurrekorder ziehen, sodaß bei Konzerten der Mann am Mischpult zum einen die Elektronik, zum anderen dir Drums nachbearbeiten kann. Scheißarbeit. Kann man mit dem sortieren eines buntgemischten Haufens Legosteine vergleichen. Nach Farbe und Form. Am Schluss ist man froh, daß man sowas geschafft hat, aber der Weg dahin ist schwer, müssig und irgendwie auch nur was für Menschen, die wohl auch Freude am Briefmarkensammeln haben. Wobei: das hab ich auch mal. Da war ich 10 oder so. Die erste Aufreissmasche. Aber da ist eine andere Geschichte.

Herr Sportraucher klingelt an. Will Details wissen. Ich weiß keine Details. Ich weiß ja noch nichtmal was genau Schmallenberg ist. Fragt, ob er vorbei kommen soll. Ich denke kurz nach, aber es kommt mir wie eine Ewigkeit vor. Eine Arbeit, die ich die letzten 2 Jahre alleine gemacht hab, ohne Zugucker. Warum sollte ich diese Einstellung nicht auch ändern, wenn mittlerweile sowieso alles anders ist. Ich sage ja, und Herr Sportraucher will in versprochenen 10 Minuten da sein.

21.45 Uhr

Herr Sportraucher erscheint. Völlig aufgeregt. Er erzählt mir etwas von seinem Tag, aber ich bin mehr oder minder in die Backings vertieft. Eher mehr als minder. Er erweist sich als nachsichtig, will zwischendurch auch ein paar Knöpfe drücken, darf aber nicht, weil Knöpfedrücken mein Job ist. Er soll singen, nicht drehen und drücken.

setlist les mercredis

ca. 5 Uhr

Mittlerweile sind die Backings alle funktionstüchtig im Multitrackrekorder, Herr Sportraucher funktionsuntüchtig auf dem Sofa, und Herr Bassist munter auf meinen Stuhl, während ich irgendwo am Boden krieche. Wie es mir geht? Mein Heroin ist alle und die Mauer ist weg. Herr Bassist, der irgendwann auch auftauchte, hört sich noch ein mal eine der Nummern an, vor denen er Angst hat. Und da fällt es mir auch auf: 8 der 10 Nummern auf dieser eben spontan zusammengestellten Setlist haben wir noch nie gespielt. Geschweigedenn geprobt. Geschweigedenn gelernt. Die Konsequenz: Heute und Morgen wird wohl die mitunter härteste Bandprobe stattfinden, die diese Stadt je gehört hat. Für Schmallenberg. Für Samstag. Für's Stadtfest, irgendwo im tiefsten Sauerland. Erwähnte ich bereits, daß mein Heroin alle ist...

 gene

"Everything in my life has been determined by mistakes."
- Gene Wilder

 

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