Früher, als es nur 5 Programme im Fernsehen gab, Twix noch Raider hieß und die Nummer hinter den damals schon wiederwärtigen Bravo-Hits-Samplern einstellig war, ja, früher, da litt ich unter dieser merkwürdigen kleinen Identitätskrise, die mich auch jetzt noch zu begleiten scheint. Ich hatte damals das problem, mich in Supermärkten und Kaufhäusern davor zu genieren, Verkäufer/innen anzusprechen, wenn ich etwas suchte und nicht fand. ("Genieren" ist übrigens auch ein Wort aus jener Zeit). Heute, viele Jahre später, in einer Zeit, die mich mit den ersten grauen Haaren, den Hirnerweichungseffekten des Privatfernsehens, den Hirnerhärtungsseffekten bestimmter Blogs und der unabdingbaren Lektüre der Rubrik "Panorama" auf Spiegel-Online beschäftigt, geht's mir mit Servicepersonal im allgemeinen wesentlich besser. Doch scheint sich dieses "genante" Verhalten via copy/paste in andere Lebensbereiche integriert zu haben. Oder besser via cut/paste, denn im Penny-Markt frech werden gelingt mir mittlerweile mühelos. Aber der Freundeskreis? Fehlanzeige. Als seien sie alle weißgewandet und regaleinräumend in den Gängen meines Lebens unterwegs, weigere ich mich strikt, ihnen auf die Schulter zu tippen und einfach mal zu sagen: "Hey, Du da, in welchen Regal steht denn 'Ich hab ein Problem'-Ultra? Wenn das nicht da ist tut's auch 'ne Packung 'Selbstmitleid'-Megapearls...".

Dabei wäre es so einfach:
Mund aufmachen,
einfach fragen,
einfach sagen.

Stattdessen bedarf es eines großen Monitors nebst Rechner und einer funktionstüchtigen Tastatur, damit ich mein Innerstes nach aussen kehren und meinen Gedanken freien lauf lassen kann - hier, im Kaufhaus, das sich "Mein Leben" nennt. Wieso, weshalb, warum jene Fähigkeit auf der Strecke geblieben ist, und ob sie jemals da war, sind ungeklärte Fragen, die mich nicht unbedingt ständig beschäftigen, mir aber doch so manches mal Kopfzerbrechen bereiten. Denn selbst die Kaufhaustangestellten, die behaupten, man müsste einfach mal was sagen, sind nicht besser dran. Verhalten sich in Ihren Kaufhäusern nicht anders. Und das Versagen meiner "Role-Models" ist umso frustrierender.

Ergo bleibt mir nur die Möglichkeit, für das neue Jahr, in dem angeblich alles besser wird, meine eigenen Unternehmensleitsätze aufzustellen:

1. Wenn was ist, einfach mal das Maul aufmachen.

2. Wenn ich mich drei Tage nicht rasiert habe,
wird es höchste Zeit, daß nachzuholen.

3. Wenn mir etwas nicht passt, sage ich es einfach.

4. Wenn ich Hunger habe, sollte ich besser essen.

5. Wenn mich etwas stört, formuliere ich meinen Unmut.

6. Wenn der Spiegel im Badezimmer beschlägt,
öffne ich das Fenster.

7. Wenn ich etwas zu sagen habe, sage ich es.

8. Wenn ich jemandem Tee anbiete,
schaue ich erst auf's Haltbarkeitsdatum.

9. Wenn ich eine Frage habe, frage ich einfach.

10. Wenn die Wirkung des Alkohols nachläßt,
ist der Abend für mich beendet.

Addendum:
Merkwürdig, in welch vielfältigen Facetten
sich alles im Leben zu wiederholen scheint.
Unternehmsleitsätze eingeschlossen.
miss.understood kommentierte am 21. Jan, 11:29:
schau doch mal,
ob du eine packung "i really don't give a fuck" finden kannst. wenn das aus ist, frag nach "so fucking what ?"

von letzterem hab ich gerade ziemlich viel. wenn du willst, kannst du was davon abhaben : ) 
waldar kommentierte am 21. Jan, 12:27:
so eine liste
versuche ich auch schon seit jahren einzuführen.

prinzipiell verlieren dabei aber immer punkt 6 und 2, wobei erster auch immer den zweiten bedingt.
punkt 10 habe ich mittlerweile für mich umgedeutet, hin zu: wenn die wirkung des alkohol zu stark wird, gehe ich mich übergeben und dann nach hause.

das mit dem zähne auseinanderkriegen funktioniert mittlerweile komischerweise...
man könnte meiner hinzufügen:
wenn ich merke, dass ich zuwenig leiste, bekomme ich mal selbst den hintern hoch! 
Ideenjongleur kommentierte am 21. Jan, 16:12:
hey, aufhören; du zerstörst gerade mein heiles Bloggerweltbild!
ich dachte immer: wow, was sind die Blogger-Jungs doch alle so weise, offen und gut - nix is, falsch gedacht. Und jetzt kann ich die ganze Nacht wieder nicht schlafen, Monsieur! 
miss.understood entgegnete am 21. Jan, 16:34:
frau ideenjongleurin, alles ist gut.
die blogger-jungs sind schon so, wie sie sie gesehen haben. weise genug um zu wissen, dass sie noch was dazulernen können. offen genug um was verändern zu wollen. gut - ja, das sind sie.

und wenn ich noch etwas anmerken darf: von blogger-jungs sollte man sich nicht den schlaf rauben lassen. ausser natürlich, man hat viel spass dabei : ) 
shhhh entgegnete am 22. Jan, 10:37:
"heiles Bloggerweltbild",
Begriffe, die nicht zusammenpassen! Wenn alles gut wäre, gäbe es ja nix zu schreiben. Wir sind ja nicht zum Spaß hier, Frau Ideenjongleurin. ;-) 
miss.understood entgegnete am 22. Jan, 10:56:
zumal
man ja auch immer alles so liest, wie man es lesen will. muss mit dem, wie es gemeint war nicht immer unbedingt was zu tun haben. sich beim lesen selbst einzutricksen ist simple.

wo sind die männer noch so, wie sie die frauen gern hätten ? in weblogs. 
 

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