Mag es am zunehmenden Alter liegen, daß man lieber andere Sachen macht? Ruhiger und besonnener wird? Ich weiß es nicht. Aber zumindest gestern Nacht, und vielmehr noch heute früh, dämmerte mit eine gewissen neue Form von innerer Langeweile Sehnsucht nach Ruhe. Im Moment gibt es für mich einfach keinen besseren Abendausklang, als ein Glas Rotwein und ein Buch. Ich sehne mich förmlich danach, mit den Fingerkuppen das trockene Papier eines dicken Wälzers zu berühren, und mir dann und wann einen Schluck Rotwein zu gönnen, während meine Augen von Buchstaben gefesselt werden.

Zumindest ist diese Vorstellung wesentlich angenehmer, als spätnachts in einer merkwürdigen "Erstsemesterskneipe" abzuhängen, sich von der gewiss noch unter 20jährigen Freundin der Exexexfreundin des guten Freundes anzuhören, warum der gute Freund ein miserables Arschloch ist (Fussnote 1), sich dann noch fast mit einem gewiss unter 20jährigen Julian Casablancas-Möchtegern anzulegen, weil der einem irgendwie komisch von der Seite angrient, und sich mit einem sehr guten Freund über die Problematik des Stuhlgangs in solchen Lokalitäten zu unterhalten (Fussnote 2).

Bin ich deshalb spiessig? Langweilig? Weil ich 5 Tage in der Woche einem merkwürdigen Job nachgehe, und nach Feierabend einfach keine Lust, keine Laune und keine Kraft mehr habe, mich für die durchweg eingeschränkten Abendaktivitäten dieser Stadt zu begeistern? Mittlerweile würde ich diese Frage fast verneinen.

Nein, es liegt nicht an mir, sondern am drumherum. Am Konformismus. Wenn man das in diesem Kontext so sagen kann. Und am Alter. Denn die Spaßgastronomie scheint hier nur für unter 23jährige und über 35jährige zu existieren und funktionieren. Die Jahre dazwischen fragt man sich, warum alle die gleichen Frisuren haben, die gleichen Getränke trinken, die gleiche Musik hören und den gleichen Müll reden. Warum niemand ausbricht, und beispielsweise mal eine Entdeckungstour durch die Altherrengastronomie dieser Stadt wagt - zugegeben, ein merkwürdiges Ausbrechbeispiel, aber dennoch ein lohnenswerter Exkurs, wie ich finde.

Mein Bandkompagnion schrieb mal einen Songtext mit der Zeile "Alles bleibt wie immer!". Wenn ich mich hier so umsehe, weiß ich, was er damit gemeint hat.

(Fussnote 1, sinngemäß)
Sie: "Na, G., und, trauerst Du immer noch?"
G: "Ja, ich trauer immer noch!"
Sie: "Selbst schuld!"
G: "Ja, ich weiß, ich hab mich damals wie ein Arschloch verhalten, und das tut mir auch leid. Ich hab's ja eingesehen."
Sie: "Das schlimme ist, daß Du nicht einsiehst, daß Du Dich damals wie ein Arschloch verhalten hast!"
G: "Aber das hab ich doch gerade..."
Sie: "Und überhaupt, Männer..."

(Fussnote 2, sinngemäß)
Ich: "Du, da sind zwei Stühle frei. Sollen wir uns hinsetzen? Hier is auch eher doof mit stehen."
Er: "Ne, besser nich."
Ich: "Aber warum denn nicht? Du bist doch auch alt."
Er: "Ja, aber ich muß mal, und wenn ich mich jetzt da hinsetze, denkt mein Körper..."
Ich: "Hömma, da vorne ist doch Klo, dann geh doch mal."
Er: "Nä, das kann ich dem Laden hier nicht antun."
Ich: "Hast Du denn Probleme mit Deinem Stuhlgang?"
Er: "Ist alles OK, noch, aber dennoch, hier nich..."
...
lliered kommentierte am 1. Aug, 02:14:
o gottchen. veranschlagen sie die ennui mit dem gebotenen wirklich für 23 bis _35_?? dann hätte ich ja wenigstens zeit, genügend zeit, gemütlich zu resignieren. 
shhhh entgegnete am 2. Aug, 09:17:
Kulturelle
Leerlaufprozesse mit einer Halbwertszeit von 12 Jahren? Das ist doch noch Harmlos. Stellen Sie sich mal vor, Sie lebten in Sprockhövel. 
 

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