Wenn einer sagt: "Hier, lass mal ein Jazzfusion-Konzert besuchen!", dann gibt mir das erstmal zu denken. Jazz? Super! Mag ich, zumindest bis 1960. Alles was danach kommt, so dieses ganze Freejazz-Fusion-Gedöns, da will ich erstmal nix mit zu tun haben. Das ist mir zu kompliziert.

Wenn unser verehrter Herr Bassist sagt: "Hier, lass mal ein Jazzfusion-Konzert besuchen, und kannst Du da mit Deinen Connections nich ma freien Eintritt rausholen, und ich muss da unbedingt hin, weil der Typ der da spielt, der ist Bassgott!", dann gibt mir das auch erstmal zu denken. Aber weil ich ja manchmal auch noch einen gewissen Grad an Anstand besitze, sag ich dann auch erstmal: "Ja, kann man machen."

Und so machten wir uns also gestern Abend auf, um Jeff Berlin zu sehen, den ich persönlich gar nicht kenne, der aber sowas wie ein Bassgott zu sein scheint - hat Herr Bassist so gesagt - und wohl schon mit Di Meola und Metheny und Yes und sonst wem gespielt hat. Das kenne ich zwar alles, das übersteigt jedoch auch irgendwie mein musikalisches Geschmacksspektrum, denn ich bin ja mehr "Pop" als sonst was, und wenn jemand "Mach ma Jazz!" ruft, dann gröhle ich was von Bennett, Connick oder Sinatra. Ein Proto-Jazz-Prolo durch und durch.

Jeff Berlin und sein Drummer Chico. Jeff Berlin sagt lutiges Sachen wie "Ick bin ein Berliner" und sieht dabei aus wie Walther Matthau.

Hier, Jeff Berlin und sein Drummer am arbeiten. Herr Berlin hatte nach der ersten Hälfte des Konzerts einen riesiegen Schweißfleck auf seinem Hemd, der die Form seiner Bassgitarre hatte.

Das lustige bei Jazzkonzerten in dieser Stadt ist ja die Veranstaltung an sich. Wenn man an "Jazzkonzert" denkt, denkt man auch an Zigarettenrauch, schweren Alkohol, Heroin und leichtbekleidete Frauen. Aber hier herrscht im einzig adäquaten Veranstaltungsort Rauchverbot, Frauen gab's nur eine im Publikum, und die war ein Mann, und das einzig heroinähnliche waren die 0.4 Liter-Krüge Krombacher, die man zumindest schon mal an seinen Platz mitnehmen konnten, die aber so schlecht gezapft waren, das die Kopfschmerzen eigentlich schon nach dem ersten Schluck eingetreten sind. Apropos Platz: Auch wieder was dazu gelernt, denn "im Stehen" gibt's bei Jazz-Fusion-Konzerten nicht. Die Leute müssen sitzen, und wer steht, fällt auf.

Da saßen wir dann also, und dann kam auch schon das Jeff Berlin-Trio auf die Bühne. Jeff "The Bassgott" Berlin hat mich indirekt irgendwie an eine Mischung aus Möllemann und Matthau erinnert, und das war auch ganz gut so, denn sonst hätte ich die Sache nicht ausgehalten. Am Bass ist dieses unförmige Ungetüm brilliant. Kann man nicht anders sagen. Technisch gesehen super. Aber wenn so jemand dann Jazz macht, hat das was von "Gewichse", wie wir Musiker immer sagen. Will heißen: Null Melodie, 100 % Gefrickel, nur damit man dann zeigen kann, wie gut man sein Instrument beherrscht. Herr Berlin sah dabei sogar so lässig aus, daß man hier und da meinte, er schliefe gleich ein.

Hier, Herr Bassist, beim Bassgucken, voll 1 am abgehen.

Herr Bassist, am abgehen, weil der noch nie so viel Gefrickel am Bass gesehen hat

Zwischen den Nummern wachte er jedoch immer wieder mal auf, um ein paar Witzchen auf Englisch zu reissen. Zum Beispiel: "Ich bin ein Berliner" oder "On piano: The Osama bin Laden of Jazz!". Das war dann besonders amüsant, und die ganzen alten Säcke, die um uns rumsaßen, und die bestimmt alle auch ein Instrument spielen, haben sich vor Lachen gar nicht mehr eingekriegt. Ich fand jedoch andere Sachen weitaus interessanter. Zum Beispiel den Pressefuzzi neben mir, der immer irgendwas mit "Pfannekuchen" in seinen Notizblock geschrieben hat. Da muß man sich dann auch mal fragen, warum der bei einer Musik, die den Sexappeal einer Kurvendiskussion hat, mitschreibt. Und was das ganze mit Pfannekuchen zu tun hat. Amüsant war auch ein Typ, der aussah wie ein Typ, und immer an der Wand stand. Die ganzen 3 1/2 Stunden über. Jedoch nicht immer an der selben Wand. Denn zwischen den Stücken wechselte er gerne mal die Seite, und stellte sich dann an eine andere Wand.

Hatter gesacht: Osama Bin Laden des Jazz.

Sah wirklich aus wie Osama, der Pianotyp

"Pfannekuchen!"

Der Kollege hier, immer am Mitschreiben, und dann so Sachen wie Pfannekuchen und Alimente.

1A Typ.

Lustiger Typ. Immer an der Wand.

Unabhängig von dem drumherum war mir der ganze Spaß einen Hauch zu anstrengend. Zum einen spüre ich jetzt noch, daß ich definitiv zu viel getrunken hab, zum anderen ist ein Jazz-Fusion-Konzert, bei dem man sich nicht bewegen darf, einen Heidenarbeit für den Zuhörer. Gut, zwischendurch gab's lockere Sachen wie eine wirklich brilliante Tears-In-Heaven-Coverversion, und eine Demonstration, wie man eine Bassgitarre so klingen lassen kann, als würde sie "Thank you" sagen, aber das war's dann auch schon an Gefälligkeiten. Der Rest sind zusammengfrickelte Noten, viel Schlagzeugblabla, und eben dieses "Guck mal, wie schnell ich meine Finger bewegen kann!". Nervig, das.

Und wenn der verehrte Herr Bassist heute noch mal sagen würde: "Hier, lass mal ein Jazzfusion-Konzert besuchen, und kannst Du da mit Deinen Connections nich ma freien Eintritt rausholen, und ich muss da unbedingt hin, weil der Typ der da spielt, der ist Bassgott!", dann würde ich locker entgegnen: "Geh weg, du alte Schnappe!". Und ich glaube kaum, daß er mir das verübeln würde...
scheinwerfer kommentierte am 24. Sep, 11:31:
großartiger satz
"Frauen gab's nur eine im Publikum, und die war ein Mann." 
Titania Carthaga kommentierte am 24. Sep, 13:17:
Dazu darf ich Ihnen - zur behelfsmäßigen Erklärung - dieses Textchen hier empfehlen... ;o) 
shhhh entgegnete am 24. Sep, 13:22:
Stimmt,
passt. Jetzt weß ich auch, warum der Berlin so geschwitzt hat. 
 

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