Melissa. Die mit den roten Haaren. Eine von den Frauen, die man im hoffentlich bald auftauchenden Frühling Vormittags in Designer-Casual-Mode gewandet einen Designer-Kinderwagen mit einem Designer-Baby vor sich herschieben sieht. Sie könnte auch eine von diesen selbstbewussten Businnessfrauen sein, die stolz und würdevoll und in mausgrauen Kostümen durch amerikanische Sit-Coms stöckeln, und maschinelle Lacher aus Lach-Maschinen ernten, obwohl das Script nichts wirklich komisches offenbart; eine von den Frauen, die den vornehmlich männlichen, und nur wegen ihr vor der Kiste sitzenden Fernsehzuschauer zu naiven Äusserungen inspiriert, die hintergründig Hormonell geprägt, vordergründig jedoch völlig ernst gemeint sind: "Die sieht so gut aus und ist trotzdem lustig!".
Aber Melissa spielt lieber Bass. In Designer-Garderobe. In Stöckelschuhen. Und es sieht schon komisch aus, wenn sie das viel zu große, wuchtige, blankpolierte Instrument waffengleich und mit unterschwelligem, militärischen Drill in die Kamera hält - dabei jedoch immer noch wie die Designer-Mama mit Kinderwagen oder die Businness-Torte aus der Sit-Com aussieht. "Die sieht so gut aus und kann trotzdem rocken!", sagen dann die Männer, die heimlich auch "Will & Grace" gucken, ohne es jemals zuzugeben.
Das haben die jungen Männer auch schon früher gedacht. Damals, als Melissa noch bei Courtney Love gespielt hat, bei Hole, der All-Woman-Band, die keiner hören wollte. Auch wenn sich der schlumpgefiederte Schlampenschiller Love immer so ungeschickt und stutenbissig in den Vordergrund von Videos wie California drängelte (Sie durfte es, es war ja ihr Song!): Der Blickfang, das blinkende Sternchen, der Grund warum wir nie wegzappten, obwohl Courtney sang, das war Melissa.
Später dann, als man Courtney nicht nur nicht mehr hören wollte, sondern auch nicht mehr hören konnte, da entschied sich die Businness-Bass-Frau bei Glatzkopf Billy Corgan und seinen leider viel zu früh, jedoch andereseits auch genau zum richtigen Zeitpunkt verschiedenen Smashing Pumpkins anzuheuern. Auch dort geizte sie nicht mit Reizen, hielt sich aber dennoch - ähnlich wie bei Hole - dezent im Hintergrund auf. Denn Melissa gehört zu jenen Frauen, die den Vordergrund nicht brauchen, um zu wirken. Sie sind einfach da. Präsent. Blickfang, eben. Was bei Frauen, deren Vorname mit M. beginnt,
Gestern Abend sah ich sie wieder. Im Musikfernsehen. Diesmal alleine. Mit einem neuen Projekt. Ohne Billy, ohne Courtney, aber ganz in deren Geiste. "Auf der Maur" heißt die Band, und so heißt auch Melissa mit Nachnamen. Was auf deutsche Wurzeln und eine Rechtschreibschwäche beim Aussteller der Geburtsurkunde ihres Urgroßvaters schließen läßt. Sie saß in Designergarderobe auf einer Couch, mit offenen, roten, lockigen Haaren, und sprach mit dunkler Stimme über irgendetwas. Etwas, daß ihr der ihr gegenübersitzende Fernsehjournalist aufgezwängt zu haben schien. Belanglosigkeiten. Und dennoch konnte man den Blick nicht abwenden, mußte man ihr zuhören. Da aus diesem Antlitz mit der Aura einer Medusa nicht nur belanglose Information sondern auch Weisheit und Macht zu strahlen schien. Und ein betörendes Lächeln, daß mit Sicherheit hochdotierte Plattenveträge einbringt, wenn es denn zum richtigen Zeitpunkt eingesetzt wird.
Den Schock ob dieser faszinierenden Person kaum verdaut, folgte gleich das aktuelle Video aus dem Album "Auf der Mauer". Diesmal steht Melissa vorne. Singt, rockt auf Stöckelschuhen, hält ihren viel zu großen, funkelnden Bass in der Hand. Und der Hintergrund ist obsolet. Die Mitmusiker verschwinden, werden vom gewaltigen Charisma dieses Ex-Mau(e)rblümchens ins Nichts verschluckt. Der Plot offeriert irgendeine düstere Handlung mit Segelschiffen, die durch tosende Tim Burton-Ästhetik krachen. Das hat Melissa bei Billy Corgan gelernt. Genauso, wie das schreiben eines guten Songs. Was sie von Courtney gelernt hat wird zum Glück nicht ersichtlich.
Und dann, am Ende eines wuchtigen Songs, singt Melissa zu dröhnenden Gitarrenwänden eine Art Kinderreim. Und man weiß, daß sie das von niemandem gelernt hat. Daß genau das, diese unschuldige Sexieness, die von einer Aura aus spirituellem Wahnsinn und absoluter Macht umgeben ist, in ihr steckt. Und Männer wie mich dazu bringt, paralisiert am Bildschirm zu kleben und dummdreist-chauvinistische Sätze zu sagen wie: "Ich wäre jetzt gerne Melissas Bassgitarre!".
Aber es ist so. Hier und da gibt es Frauen, die aus Männern willenlose Kinder machen könne. Melissa ist eine von diesen Frauen. Und sie setzt alles ein, was sie zu bieten hat. Einschließlich der Musik, die ich immer noch nicht gehört habe...
Herr shhhh
am Mittwoch, 28. Januar 2004, 10:16