Ich kann mich noch sehr gut an mein kurzes Gastspiel als freier Redakteur bei der, großen Düsseldorfer Tageszeitung, der Rheinischen Post erinnern. Ich war verdammt jung. Richtung jung. Noch viel zu unreif, um dem Leben auch nur ansatzweise die Stirn zu bieten. Und ich hatte etwas, daß vielen heutzutage völlig fremd ist: Respekt vor dem Wissen. Denn ich wusste, daß ich eigentlich nichts wusste. Und allein vor dieser Feststellung hatte ich Respekt.

Mein erster Artikel handelte von einer Hundeschule in Düsseldorf Lohausen. Termin an einem Sonntag. Ich, noch führerscheinlos (ein Luxus, den ich mir auch jetzt noch leiste!), musste also die Tortur auf mich nehmen, und eine halbe Weltreise Richtung Lohausen machen, nur um ein paar frustrierten Hausfrauen beim sonntäglichen Abrichten ihrer Familienfiffis zuzuschauen.

Der gebürtige Düsseldorfer wird jetzt spätestens bei der Erwähnung Lohausen und Hundeschule in einem gemeinsam Kontext ein mieses Grinsen auflegen - doch mir war damals, oder zumindest zum Zeitpunkt der Fahrt nach Lohausen, nicht bewusst, daß dort eben auch der große Düsseldorfer Flughafen beheimatet ist.

Eine Hundeschule am Flughafen, mitten in der Einflugschneise, daß klingt bizarr. Und das ist es auch. Männer, die werktags Gewichte in Bodybuildingklitschen stämmten, brüllten sich die Seele aus der Kehle, nur um einem kleinen Pudel verständlich zu machen, daß man ein paar schnuckelige Pantoffel nicht zerfetzt, sondern apportiert. Nur was nützt es, gegen die hochfahrenden Triebwerke einer fetten Boing 747 anzubrüllen? "Hey, mein Hund war in der Hundeschule. Seitdem hört er mich nicht mehr, wenn ich ihn rufe..."

Obwohl das Thema eher bescheiden war (Lokalteil, Randnotiz), war ich furchtbar nervös. Der Fotograf der RP dackelte an, lockerte mich ein wenig auf, gab mir Mut, und ich führte mein erstes Interview für eine große Tageszeitung. Mit dem Besitzer der Hundeschule. Der natürlich bekundete, daß der Flugmaschinenlärm überhaupt kein Problem für die Hunde sei.

Noch am selben Tag saß ich im RP-Gebäude in Düsseldorf-Heerdt, um den Artikel über die Hundeschule zu schreiben. Ich war noch nervöser als bei dem Interview. Zum einen, weil der Redaktionsleiter sich als preußisch erzogenes Riesenarschloch entpuppte, zum anderen, weil ich an einem völlig antiquierten Redaktionssystem arbeiten musste, daß sich nur mittels irgendwelcher kryptischen Zeichenkombinationen bedienen ließ. Da gab's noch nichts mit "Text markieren und Headline draus machen". Da war Textverarbeitung noch ein hochwissenschaftlicher, mathematischer Vorgang. Und ich als jemand, dessen Algebrafähigkeiten denen eines Komposthaufens in nichts nachstehen, mittendrin.

Ich brauchte Stunden, um zu begreifen, wie sich diese martialische Textverarbeitung bedienen ließ, und als ich diese Hürde endlich bewältigt hatte, und meine 100 Zeilen stolz aus dem Nadeldrucker im zentralen Druckerraum herausratterten, wähnte ich mich schon als Sieger des Tages. Die Tortur überwunden.

Ich bedachte nicht, daß der preußisch erzogene Redaktionsleiter so preußisch erzogen war, daß er an meiner noch jungen, frischen Schreibe nicht ein gutes Haar ließ. So viel Rotstift hatte ich das letzte mal im Matheunterricht gesehen, und spätestens jetzt war mir klar, daß ich von der Materie Journalismus eigentlich nichts wusste. Denn sonst hätte der graumelierte Mann mit dem strengen, militärischen Ton auch nicht so viel an meinem Text auszusetzen gehabt.

Es müssen über 30 Versuche gewesen sein, die ich brauchte, um dann endlich ein Ergebnis abzuliefern, daß dem Herrn Chefredakteur gefiel. Die Ausdrucke mit den Rotstiftkorrekturen hatten mittlerweile den Umfang des Lohausener Telefonbuchs, und ich fragte mich zähneknirschend, wie jemand ernsthaft so ein Aufheben um einen winzigen Artikel über eine Jundeschule machen konnte. Genauso wunderte ich mich auch darüber, daß von den Zeilen, die ich Anfangs geschrieben hatte, nichts mehr übrig war.

Meine Seele gehörte für diese unseeligen Stunden dem Redaktionsleiter. Der Artikel gehörte dem Redaktionsleiter. Von mir war nichts mehr da. Und so war es auch nicht verwunderlich, daß ich am Tag des Erscheinens meines ersten Artikels in der RP im Gegensatz zu meinen Eltern überhaupt keinen Stolz und keine Freude über meine Leistung empfand.

Heute, viele, viele Jahre später, sitze ich manchmal vor der leeren Texteingabemaske meines Blogs, und stelle mir vor, daß er da sitzt. Der fiese Redaktionsleiter des Lokalteils der RP. Die Stirn in Falten gelegt, den Rotstift in der Hand, nur darauf wartend, daß ich wieder irgendetwas schreibe, was er in Ruhe akribisch zerpflücken kann. So lange, bis ich demotiviert aufgebe, die Tastatur in die Ecke schmeisse, mich Kaffee und Zigaretten und meinem eigentlichen Job widme, und der festen Überzeugung bin, eigentlich nichts zu wissen. Und dann klicke ich freudig auf "Veröffentlichen!". Denn das ist der Moment, wo sich der preußische Geist wieder verpisst...

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Addendum:
Wie schnell man das Böse vergisst,
wenn man von der Schönheit des Moments erschlagen wird...
 

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