Frau Schneider

Da steht sie, tagtäglich, Stunde um Stunde, halb draussen, halb drinnen. Auch jetzt, bei diesem Sauwetter. Wenig repräsentativ ist diese Bude, in der sie - mit einem ewig währenden Lächeln auf den Lippen - bemnüht ist, die Wünsche des Laufpublikums zu erfüllen. Mit geschickten Fingern bereitet sie auch bei unwirtlichem Wetter kleine Kunstwerke aus Reis, Seetang und rohem Fisch zu. Immer darauf bedacht ihr Können noch weiter zu perfektionieren. In einer Stadt, deren größte kulinarische Errungenschaft eines Suppe aus Kuhmagen (die sogenannte "Schampe") ist.

Mit Stolz und Würde steht sie dort in ihrer kaum 2 Quadratmeter großen Kabine. Und wird belächelt von den Ignoranten, die Ihre Kochkünste diffamierend verschmähen - Gehen Sie mir weg mit dem Zeuchs. Und was macht Sie? Ist sogar noch zu den regionalen Miesepetern freundlich und herzlich. Bietet ihnen als Alternative den Klassiker der regionalen Expereimtierküche. Sushi & Crepés. Eine Kombination, die einem nur einleuchten kann, wenn man die Menschen, das Leben hier in dieser Stadt kennt.

Ich liebe sie, Frau Ming-Schneider. Die eingeheiratete Asiatin. Weil sie mir tagtäglich zeigt, daß man auch Sushi & Crepés mit Stolz & Würde verkaufen kann. Daß man Kunden Kundenwünsche von den Augen ablesen kann. Sie hat immer die richtigen aufmunternden Worte parat, wenn der Tag wieder seine gewohnten Bahnen zu verlassen droht. Sie schenkt gerne. Mit Vorliebe Crepés an kleine Schuljungs. Die dann glückliche Augen machen. Oder Suppen an große New Economy-Jungs. Die dann auch glückliche Augen machen.

Neulich kam ein kleiner Schuljunge auf sie zu, und bestellte wie immer ein Schoko-Banane-Crepés. Seine Freunde nennen Ihn Crepés-Olli, weil er mit seinen 12 Jahren immer dort steht. Jeden Mittag. Und ein Schoko-Banane-Crepés bestellt. Er ist einer von diesen kleinen Jungs, die von den Mitschülern oft geärgert werden. Vielleicht weil er eine Brille trägt. Oder eine Jacke von C&A. oder einfach nur selbstständiger ist als die anderen. Weil seine Mutter vielleicht zu wenig Zeit für ihn hat. Der kleine Olli stand dort, wartete auf seine Bestellung, wie immer unbeeindruckt von den Stänkereien seiner Mitschüler. Frau Ming gab ihm sein Crepés, nahm das Geld in Empfang, schaut ihn darauf hin an und sagte: Junger Mann, daß sind 50 Cent zu viel. Und er sagte: Nein, Frau Ming-Schneider, das stimmt schon so, weil Sie immer so lieb zu mir sind.

Einer dieser Momente, die sich in die Seele Tätowieren. Genauso wie Frau Ming-Schneiders kleine Oase inmitten der Kleingroßstadt-Tristesse...

In den letzten zwei Tagen fühlt sich das Leben auf Twoday an wie ein David Lynch-Film. Ein kleiner Zwerg mit verzerrtem Gesicht scheint mich zu verfolgen, und immer dann aufzutauchen, wenn ich mich gerade romantischen Gedanken oder meinem Mittagessen hingeben möchte. Wie es dazu kommen konnte ist mir schon lange nicht mehr bewusst, aber genau das ist ja das Lynch-esque an den letzten beiden Tagen.

Wie man in die Türsprechanlage brüllt, so schallt es auch wieder heraus! , sagt der kleine Zwerg. "Also gut", denke ich, und brülle: "Ich finde Pipi Langstrumpf doof!". Rauschen. Knistern. Dann plötzlich, fast schon in Urschreilautstärke, brüllt die Sängerin von Spillsbury (keine Ahnung wie die heißt) "...WIR STEIGEN HIER NICHT EIN, WIR STEIGEN HIER NICHT EIN!!!" zurück. Auch wieder so ein Lynch-esquer Moment, jedoch mit einem Touch Neue Deutsche Welle - was aber vom Irritationsgrad her sehr gut passt.

Der Schock, der Schreck, die Druckwelle dieser Fieps-Stimme haut mich um. Ich lande hart auf dem Rücken, öffne die Augen, über mir steht Trent Reznor. Er ist mit Mehl eingeschmiert, sieht naßgewschwitzt aus, und aus seinen Augen blitzt blanker Haß. Was nichts ungewöhnliches ist, weil Trent immer so aussieht. Selbst morgens, wenn ihm seine Haushälterin leckere Erdnußbutter-Marmelade-Sandwiches oder Frikadellenbrötchen zubereitet. Wo war ich? Ach ja, Trent steht über mir, und brüllt "TOO FUCKED UP TO CARE ANYMORE!". Ich zucke wieder zusammen, und muß schlagartig an Frauen denken. Frauen, die keinen Wert auf inhaltliches legen. Die einfach nur da sind, um die Rolle ihres Lebens zu spielen.

Ich stehe leicht wankend auf, klopfe Trent auf die Schulter und sage: "Hey Trent, dass hättest Du irgendwie auch verschachtelter und nicht ganz so platt formulieren können.". Und Trent sieht mich immer noch zornig an, aber das tut er ja immer, also bilde ich mir auch nichts darauf ein. Und er sagt mit einer Piepsstimme: "Dude, Reduktion ist das Stichwort der 90er. Ich bin ein Kind der 90er. Und deshalb sag ich's einfach so wie ich's meine". Ich starre ihn für einem Moment an und sage "Ok. Dann hau ab!".

Er geht. Wird immer kleiner. Verwandelt sich am Horizont in den Zwerg, den ich so fürchte. Ich hebe eine Augenbraue und machen ein Geräusch. Ich mache immer ein Geräusch wenn ich nicht weiß was ich sagen soll.

Ich steh alleine im Flur, vor der Türsprechanlage. Und weiß, daß gleich jemand klingeln wird, auf den ich mich sehr freue.

 

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