Die gestrige Nacht war ein Fest für Quartals-Melancholiker wie mich. Dank Dir.

Erst eine Einladung zu einem Polterbabend abgelehnt, weil mich der Gedanke, daß alle um mich herum Heiraten und/oder Eltern werden, furchtbar deprimiert. Dann die Alternative wahrgenommen: Semesteranfangsparty. Es war grauslig. Die letzte Semesteranfangsaparty, an die ich mich erinnern kann, liegt etwa 5 Jahre zurück. Es war ein Fest für die Sinne, hübsche Mädchen everywhere, der ideale Flirtort überhaupt. Für kategorische "Telefonnummern absahnen und dann vergessen anzurufen..."-Typen wie meiner einer ein phantastisches Erlebnis. Doch gestern fühlte ich mich komplett deplatziert. Zu alt, zu reif, ein wenig zu weise, und auch ein wenig zu böse und verschlagen. Verdorben, vom Leben, von den Erfahrungen. Da liefen sie rum, die ganzen unschuldigen jungen Jungs und Mädels, fast schon uniformiert, charakterlos, weil noch in der "Prägung". "Kindergarten" hätte es fast getroffen. Erschreckend auch: Die Erstsemester von heute hören die selben alten Knotten wie wir vor 10 Jahren. 80er Oldies und so.

Konsequenz: Ab in den Stammladen. Schon im Vorfeld als Sammelpool für gescheiterte Existenzen abgetan, die hier, bei den Erstsemestern, nichts mehr zu suchen haben.

Und da saß ich dann am Tresen. Mit einem Bier in der Hand. Neben mir: ein knutschendes, offensichtlich frisch verliebtes Päärchen, und ein Typ, der kurz vorm einnicken war. Und - ungewöhnlich laut - lief in dieser bizarren Szenerie meine Musik. Die Musik, die mich im Kopf ständig begleitet. Die alten Crooner-Classics, Sinatra, Bennett, Dean, Sammy Davis, Satchmo...

I wanna be around to pick up the pieces
When somebody breaks your heart
Some somebody twice as smart as I


Die Luft war klebrig. Ich trank mein Bier in schnellen Zügen und wollte meine Trinkgewohnheit den fast schon kongenial melancholischen Umstandsvariablen anpassen. Also: Martini, Eis, und ein Fitzelchen Zitrone...

A somebody who will swear to be true
As you used to do with me
Who'll leave you to learn
That mis'ry loves company, wait and see


Und Tony Bennett singt. Laut. Herzensbrechend. Während der Typ neben mir einpennt und mit dem Kopf auf den Tresen knallt. Und die Dame hinter'm Tresen anfängt, die Theke zu säubern, kurz aufblickt als der Kollege neben mir wegbricht, leicht schmunzelt, und weitersäubert.

I mean, I wanna be around to see how he does it
When he breaks your heart to bits
Let's see if the puzzle fits so fine


Das Päärchen, mittlerweile seit einer geschlagenen Viertelstunde mit Liebesbekundungen beschäftigt. Martini Nummer zwei naht. Ich bemerke, daß diese Musik genau zwischen Glück und Unglück liegt, daß selbst Melancholie romantische Aspekte haben kann. Die Sinne gehen auf große Weltreise. Nein, hier ist nicht die kleine Großstadt oder die große Kleinstadt. Hier ist gerade New York oder Frisco. Und ich fühle mich plötzlich mittendrin, aufgesogen von diesem Gefühl. Irgendwie ein Hemingway'scher Moment. Irgendwie "übercool", auch wenn das ein Scheißwort ist.

And that's when I'll discover that revenge is sweet
As I sit there applaudin' from a front-row seat
When somebody breaks your heart
Like you, like you broke mine


Martini Nummer drei.
Frank singt "My Way".
Ich hab feuchte Augen.
Trinke in schnellen Zügen.
Zahle.
Werfe noch einen Blick auf die Szenerie.
Und gehe mit diversesten Ohrwürmen nach Hause.
Glücklich.

Danke Tony, Dean, Frank, Sammy & Co.
Ihr seit die wahren Seelentröster.

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Addendum:
Der Song trifft's...
Harry Connick Jr. "Nowhere with love!"

In a way, I really don’t know much at all
And if you say that I’m simple, you’re on the ball
On the ball to say that I’m going nowhere
But I’m going nowhere with love

They all say that I’m not impressive at best
That’s o.k., I’ve got nobody to impress
My impression is they’d rather be elsewhere
Oh, I’m staying nowhere with love

Well, it’s better to be happy in a cardboard shack
Than to be alone in a castle
All you get for your money is a heart attack
I’d just as soon alleviate the hassle

Every day, I watch the go-getters go by
Even they say the ladder is much too high
Why should I go high, I’m happy below there
Right here in nowhere with love
zkoo kommentierte am 16. Okt, 11:46:
ohr, schön, herr shhhh
grillparzer sagte mal: "beschriebene musik ist halt wie ein erzähltes mittagessen."

aber sie haben das sehr schon erzählt. beedankt. 
miss.understood entgegnete am 16. Okt, 11:55:
yo zkoo,
hab ich das jetzt richtig gelesen ? herrn shhhs ohr ist schön und er hat das jetzt schon sehr erzählt ?? 
zkoo entgegnete am 16. Okt, 11:58:
das war lautschrift, miss miss,
und ein wortspiel mit "ooaaaahh". ich bin schräg drauf, da passiert das schon mal. 
miss.understood entgegnete am 16. Okt, 12:05:
wieder was gelernt, danke.
ich werde mir das jetzt gleich mal hinter die ooaaaaaahhren schreiben. 
shhhh entgegnete am 16. Okt, 13:24:
Danke,
Herr Zkoo, für's Kompliment und so.
Musik ist mir sehr wichtig.
Die Miss weiß das schon. 
hugo.cool kommentierte am 16. Okt, 16:47:
different cities
same destiny.
war gestern auch auf einem semesteropening und hab mir gedacht "ahhhh bin ich alt".
jetzt weiss ich aber zumindest eines mit gewissheit. ich habe mich damals nicht sinnlos angesoffen (ansaufen tut man sich sowieso nie sinnlos), nein es war aus selbstschutz um diesen argen treiben im nüchternen zustand zu entgehen.
bin dennoch bis zum bitteren ende geblieben und hab mir gedacht, hmmm was hab ich mir eigentlich gedacht??? sowas ähnliches wie, das brauch ich nicht mehr, oder zumindest nicht mehr nüchtern. 
shhhh entgegnete am 16. Okt, 16:53:
Wäre
ich im angetrunkenen Zustand auf der Party geblieben, wäre ich irgendwann ausfallend geworden. Ich bin kein Mensch, der auf Alkohol aggressiv wird. Ganz im Gegenteil. Aber ich fange an, frech zu werden - wenn ich denn in der richtigen Laune bin. Streiche spielen und so. Und da auf dieser Party 99 % potentielle Opfer rumliefen, die sich weiß Gott nicht gegen jemanden gewährt hätten, der 2 Köpfe größer und fast 10 Jahre älter ist, wäre das sicherlich ungut ausgegangen. Also bin ich eigentlich aus reiner Nächstenliebe gegangen, wenn man es denn so überheblich ausdrücken möchte. 
hugo.cool entgegnete am 16. Okt, 16:57:
zumindest
weisst du wo du stehst.
am erschreckensten hab ich eigentlich gefunden, dass die zur gleichen musik tanzen. ich hab mir damals schon gedacht, dass sich meine eltern bei dem song schon abgeschmust haben. übertrieben formuliert...
andererseits gibts heutzutage ja auch kaum songs die länger als zwei jahre bestehen können, und das sind schon die guten.
oder kannst du aus dem stegreif eine handvoll songs nennen, die vor zwei jahren in waren und immer noch gespielt werden??? 
shhhh entgegnete am 16. Okt, 17:19:
Nö.
Was aber daran liegt, daß Populärmusik von vor zwei Jahren mich schon vor zwei Jahren nicht interessiert hat.

Aber, tatsächlich, ich fand's auch höcht irritierend, eine Horde 19jähriger Frischling zu James Brown, Abba und sonstigem Partyschmuh tanzen zu sehen. Noch irritierender war aber die Feststellung, die ich nie machen wollte: Wir waren früher irgendwie die cooleren Kids. Und sahen eben nicht alle gleich aus.

Addendum: Zehn von einigen 2 Jahre alte Songs/Alben, die ich immer noch höre, die aber selten gespielt werden.

Zoot Woman - Living in a Magazine
Robby Williams - Mr. Bojangles
Lamb - What Sound
Goldfrapp - Human
Nine Inch Nails - Metal
Fisherspooner - Emerge
The Strokes - Is this it
International Noise Conspiracy - Survival Sickness
Mardi Grass BB- Zen Rodeo
White Stripes - White Blood Cells
Bjoerk - Vespertine
Aphex Twin - Druqcks
Nick Cave - No More Shall We Part
Gorillaz - Gorillaz
Mouse on Mars - Ideology
Weezer - Green Album
New Order - Get Ready
Train - Drops of Jupiter
Black Rebel Motor Cycle Club - BRMC
Moulin Rouge Soundtrack
Joe Strummer & Mescaleros - Global a Go-Go


Und da sind sicherlich auch ein paar Sachen bei, die man heute noch hört...

Sorry, ich weiß, ich bin in Sachen Musik der Klugscheisser... 
hugo.cool entgegnete am 17. Okt, 14:04:
wozu,
sorry?
klugscheissen ist doch aufnahmebedingung in den bloggerclub, oder ;) 
shhhh entgegnete am 17. Okt, 14:09:
Club?
Welcher Club? Ich dachte, daß hier wäre der Club der gescheiterten Existenzen... 
zkoo entgegnete am 17. Okt, 14:17:
nein, herr shhhh,
hier ist der club der zukünftigen ex-gewinner. 
shhhh entgegnete am 17. Okt, 14:22:
Ach,
Herr Zkoo, hörnse mir mit diesem Perspektivenkram auf. Ich arbeite in der New Economy, da gibt's nix mehr mit Zukunft. Ausser Diversifikation, und selbst die offeriert nichts weiter als Ruhm ohne Geld. Wenn ich da einen - ähnlich diversifizierenden - Kollegen von mir zitieren darf, dessen Namen ich hier nicht nennen möchte: "Hömma, ich war noch nie so scheiße berühmt wie jetz. Aber auch noch nie so pleite..." 
zkoo entgegnete am 17. Okt, 14:26:
hömma, herr shhhh,
wenn ich nicht auch aus der neweconomypleite käme, wäre ich gerade drauf und nicht schräg. aber ich kann ihnen zukunftsperspektiven sichernd sagen, hinter der bürotür ist die sonne und meine schrägheit zuende. auch ohne bar und fluppe auf lippe. aber mit musik, da ist uns ähnlich.

und sonne: ist in vier minuten. 
shhhh entgegnete am 17. Okt, 14:30:
Hörens,
Zkoo, Sonne is bei mir in 4 Stunden, und dann is keine Sonne mehr. Aber ich gönn Dir den Freigang/tag.

Und wenn wir schon einen ähnlichen Musikgeschmack haben, dann kommse doch ma am 12.12. nach D'Dorf ins Coffy den Herrn Shhhh nebst Freunde live begucken und ein Bier trinken und so...

Schräg. 
zkoo entgegnete am 17. Okt, 14:34:
abgemacht und aufgeschrieben
details frage ich später ab. und danke für die unterstellung, der musikgeschmack sei ähnlich zu ihrem. ihrer klingt nämlich gut.

regards 
 

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