Im Zuge meiner vorgestrigen Remix/Coverversion-Aktivitäten kam ich letzte Nacht nicht umhin, noch mal alles zu überdenken. "Love will tear us apart" - unsere Version - klang gut. Zufriedenstellend. Das Prädikat "berauschend" würde sich wohl erst einstellen, wenn ich das Monster live höre, mit Drums und allem drum und dran.

Dennoch störte mich etwas an meiner Version. Unentwegt. Klopfend in meinem Hinterkopf. Also drei mal quergehört, und des Rätsels Lösung lag im Gehörgang: Die mittige, bei Cabaret Voltaire gesampelte Bassdrum klang irgendwie... mittig! Nicht zum knarzigen, röhrenden, wummernden Rest passend.

In solchen Fällen bleiben mir meistens nur zwei Möglichkeiten: Entweder selbst programmieren, oder von wo anders sampeln. Da ich von den übersterilen Klängen meiner Synthesizer in Sachen Percussion nicht so viel halte, und das ganze ja auch nicht allzu "krank" klingen darf, entschied ich mich also für die Exkursion durch meinen heimischen Plattenschrank. Das sind Momente, vor denen ich manchmal etwas Angst habe. Denn es läßt sich nicht umgehen, plötzlich kleine Peinlichkeiten zu finden, die man besser nie gekauft hätte. Oder eben Platten, die seit Jahr und Tag vor sich hinstauben. Oder schlicht und ergreifend dem Vergessen zum Opfer gefallen sind.

Eine dieser Platten fiel mir auf der Suche nach einer alten DAF-Scheibe auch augenblicklich in die kalten Hände: Front 242s BackCatalogue. Als Bassdrum-Quelle völlig ungeeignet. Aber ein schönes Stück Jugend. Ich entschied mich also, wenigstens mal reinzuhören. Vergangenheitsbewältigung. Und ich blieb für mehr als drei Hördurchgänge an den 17 Tracks wie eine Fliege am Honig oder ein verzweifelter Geist an seiner Traumfrau kleben.

daf

Die hier gesucht...

Was waren das noch für Zeiten, wo Elektronik-Tracks mit weniger als 8 Spuren auskamen. Wo alles irgendwie nicht so steril, unterkühlt und digital klang wie heute. "Organisch" ist eines dieser Wörter, das schlechte Musikjournalisten gerne benutzen wenn ihnen nichts gutes einfällt. Ich würde die Musik der frühen Front 242 alles andere als organisch bezeichnen. Sie ist ganz klar maschinell. Aber es sind lebendige Maschinen, die dort Musik machen. Maschinen, die im Geiste überdiemensional und dunkel erscheinen, die schmierig und ölig sind, fast wie bei Giger, nur nicht so romantisch verklärt. Maschinen, die pulsieren, die eine Stimmung antreiben, die einem noch deprimierenderen Blade Runner-Universum alle Ehre machen würde.

f242

...und die hier gefunden!

Ich mußte lange Zeit daüber nachdenken, wann ich das Interesse an der Maschinen-Musik von Front 242 verloren hatte, und es fiel mir auch prompt ein, als ich einen weiteren Griff ins Plattenregal tätigte. Da lag sie, angestaubt, die "Tyranny for you", mit Originalautogrammen von Richard 23, Patrick C. und Jean Luc De Meyer.

Es muß irgendwann in den frühen 90ern gewesen sein, als ich als unbedarfter Teenager in die damals noch auf der Schadowstraße gelegene Düsseldorfer WOM-Filiale hineinspatzierte, um mir die Platte zu kaufen. Ich war zu der Zeit keiner von diesen Gruftie/Gothic/Darkwave-Jungs, obwohl ich die Musik gerne hörte. Ich war relativ bunt angezogen, und ich will auch garnicht darüber nachdenken, was genau ich anhatte, denn das würde mir den Rest des Tages vermiesen. Geschmacklose 90er und so.

Ich betrat also die WOM-Filiale, und fühlte mich plötzlich sehr, sehr unsicher. In etwa so unsicher, wie beim ersten Friseurbesuch, oder beim Zahnarzt im Wartezimmer. Denn vor mir tummelte sich ein Pulk von Menschen, die allesamt in Leder und Jeans und Doc Martens gewandet, mit kurzrasierten Frisuren und böser Miene anstanden, um irgendetwas zu bekommen. Ich bemerkte recht schnell, daß da ein Zusammenhang zu der Platte bestand, die ich mir gerade kaufen wollte - die an der Decke angebrachte Werbung verwies zu offensichtlich auf eine Autogrammstunde mit den drei Herren. Die gerade jetzt und hier stattfand.

Ich bekam Zweifel. Denn irgendwie war mir das alles suspekt. Diese erwachsenen Menschen, die allesamt böse und unheimlich aussahen, und ich mittendrin? Konnte das gutgehen? Ich beschloß, daß ich eigentlich nichts zu verlieren hatte, ergriff also mein Digipack-Exemplar des Albums und stellt mich zu den Elektro-Hühnen. Und es war furchtbar. Geschubse, Gedränge, der Geruch von nassem, kalten Leder, Schweisserbrillen, kurze Haare, große Füße. Ich war in Panik. Und schaffte es dann doch irgendwie, mein Exemplar siginieren zu lassen. Obwohl das der narkotischste Moment in diesem kleinen Horrorszenario war. Ich als kleiner Junge zwischen diesen Brutalos (die natürlich keine waren).

Ich verließ die WOM-Filiale mit einem unguten Gefühl. Was ich genau fühlte, weiß ich heute nicht mehr - dafür hat die Zeit viel zu viel Gefühle mit sich gebracht. Aber ich entsinne mich, die CD zu Hause mehrere male hintereinander weg gehört zu haben. So oft, daß ich am Schluß Bauchschmerzen von dieser kalten, drückenden, brutalen Musik bekam.

Und das muß wohl der Punkt gewesen sein, wo es sich die Belgier mit mir verscherzt hatten. Denn eine schlechte Zeit kann ich auch ohne Musik haben.

Heute, viele Jahre später, entdecke ich diese Platten nach und nach wieder. Sie machen mir Spaß, nicht nur wegen der Erinnerung, sondern weil mein Ohr mittlerweile viel viel böseres gewohnt ist. Und gerade jetzt, wo alle Welt "Retrooooo!"-schreiend durch die coolen Fassaden der Städte hüpft, bereitet es mir ungemein Freude, mich auf die Originale berufen zu können.

Scheiß auf Retro, das hier ist echt!

f242live

Front 242 waren bereis 1989 eine sehr spritzige Band. Auch wenn der etwas bizarre Klamottengeschmack darüber hinwegtäuschen mag.

Last moment cries on the radio
It's so hot down here
Crushing metal bloody waters
Same faces everywhere
Now the anger is fading
Now the fight can't go on
We'll always be remembered
We'll always be dismembered


(Front 242 / Don't Crash)
Morrissey kommentierte am 12. Feb, 09:55:
...
One - You lock the target
Two - You bait the line
Three - You slowly spread the net
And four - You catch the man... 
shhhh entgegnete am 12. Feb, 09:58:
Oh ja.
Und das großartige Eierkopf-Corbijn-Grobkorn-Video dazu nicht vergessen... 
Der_Eisenschmyd kommentierte am 17. Feb, 14:08:
Ich habe noch einige Front T-Shirts im Schrank liegen

Das waren noch Zeiten... 
shhhh entgegnete am 17. Feb, 14:24:
ebay-Galore.
Ich hab noch das mit dem 242-Logo-Imprint. Ich weiß aber nicht mehr woher. 
 

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