...ein schritt nach vorn /
und zwei zurück /
geh über start /
und such dein eigenes glück /
falsche richtung /
vergangenheit..."


An diesem wolkenverhangenen Samstagnachmittag, den ich mit mir selbst und vielen Menschen im Konsumwahn verbracht habe, fällt es schwer auf die Geschehnisse des gestrigen Tages zurückzublicken. "Zu viel von allem" könnte ein Fazit sein. Aber irgendwie war alles auch nicht richtig.

Der Freitag begann mit einer von Vernunft geprägten Entscheidung, die nur durch Unvernunft kompensiert werden konnte. Will heissen: Herr Shhhh verabredete sich mit Bruder Bordeaux und Schwester Merlot zur Bandprobe, um das Feuer in seiner rastlosen Seele wahlweise zu löschen oder rauszubrüllen. Rausbrüllen ging aber nicht, da das dazu notwendige Mikrophonkabel defekt war. Also löschen. Und das funktionierte wiederum erstaunlich gut. Circa 1 1/2 Flaschen später war das Gros der Pflichtarbeiten (wie eine Coverversion von "Paul muß sterben!" und diversen Songs, die mehr und mehr an Denkmäler erinnern) zufriedenstellend bewältigt. Und auch wenn mir nicht nach Amüsement zu Mute war, entpuppte sich der Anblick eines strunzglücklichen Bassisten nebst neuer Perle, eines kleinen Drummers mit noch kleinerem Drumkit und eines um sich rumrockenden Sportrauchers als dankbare Seelenkost nebst Schmunzeleinlagen.

...hypnotisieren wir uns selbst /
hypnotisieren wir die welt /
wir haben lang genug gewartet /
und es hat viel zu weh getan.


Bruder Bordeaux hatte mittlerweile eine wärmende und leicht einlullende Wirkung auf mein Umfeld, oder zumindest auf das Umfeld, das ich für mich wahrnahm, und so blieb die Vernunft auf der Strecke Richtung Kneipe, wo auch schon der Herr Sportraucher nebst Weizenbier und netter Begleitung am Tresen saß. Zwischenzeitlich schüttelte mich (mal wieder) die Verachtung, die ich für einen Großteil der Einwohner dieser Stadt hege und pflege. Da ich mangels Platz in der Fahrgastzelle des Sportraucher-Groupie-Gefährts beschloß, den Weg Richtung Kneipe alleine mit einer guten Freundin namens Bierflasche zu bestreiten, durfte es natürlich nicht ausbleiben, mal wieder mit der Provinzdenke konfrontiert zu werden. Dialog hinter mir. Sie: "Wie hieß noch mal dieser total beschissene Film mit George Clooney?". Er: "Ach hä, dä Oschands Elleffen! Ja, der war scheiße." Sie: "Ja, ich hab den auch ganich gerafft!". Das sind die Momente, die mir schlimme Kopfschmerzen bereiten. Schlimmer, als die Kopfschmerzen, die eine Flasche Martini hervorrufen kann.

...so viele systeme /
so viele systeme /
alles auf einen schlag.
ach du scheiße /
ach du scheiße /
alles an einem tag.


Die Kneipe war mäßig gefüllt, der Sportraucher auch und ich sowieso. Der Wirt, ein studentisch anmutendes Relikt der 80er Jahre, lies sich kurzfristig dazu überreden, einen unserer ganz ganz neuen Songs zu spielen, und das war auch gut so, denn es gibt nichts schöneres, als die eigene Musik in einer Kneipe zu hören, und wildfremde Menschen im Takt wippen zu sehen. Erschreckend aberd er Gedanke, was wohl wäre, wenn plötzlich auch jemand den Text misingen würde. Zwei große Bier und zwei Liebeskummerstorys später sollte der Abend eigentlich enden. Er tat es aber nicht, und zog uns stattdessen erst in den Burger-Großfilialisten, wo eine entnervte Lokalradiomoderatorin in fast vorwurfsvollem Ton "ES IST ZWEI UHR!" verkündete. Für uns klang es wie "ES IST ZWEI UHR, und es ist eine Unverschämtheit, daß ihr Pisser hier um die Uhrzeit stratzevoll Burger in Euch reinstopft und ich stattdessen in meinem öffentlich-rechtlich subventionierten Scheißstudio ohne Fenster bescheuerte Nachrichten verlesen muß, die um die Uhrzeit sowieso kein Schwein interessieren!". Nachdem wir das verdaut hatten führte uns das Sportraucher-Groupioe in die neueröffnete Karaokebar, die leider nicht im geringsten an Lost in Translation, dafür aber umso mehr an ein Sammelbecken für dickliche, bauchfreie Teeniemädchen und DJs mit schlechtem Musikgeschmack erinnerte. Aber die Einrichtung ist auf Großstadtniveau, und sowas nimmt man im benebelten Zustand dankbar zur Kenntnis. Genauso wie die kleinen Häppchen, Feta-Würfel und Antipasti, die den Tresen bedeckten, an dem wir saßen. Das Zeug schmeckte jedoch Scheiße, und so war selbst diese kleine Freude ein Indiz dafür, daß man sich nicht zu viel im Vorfeld auf kleine Freuden freuen sollte. (Und Heineken, diese Grachtenpisse, für 3 Euro zu verkaufen ist auch nichts, was einen freuen sollte...)

...ich bin ein einfacher kleinstadtjunge /
ich sitze hier herum ganz ohne spaß /
ich schau mir alle netten kleinstadtmädchen an /
ich wär so gerne ihre nummer eins /


Das ich als stadtbekannter Antichrist mit Ruf eines "Herzensbrechers" (der ich aber eigentlich gar nicht bin) mal einen Flirt ablehnen würde, hätte ich mir nie zu träumen gewagt. War aber so. Und so mußte sich die blonde, hübsche Kellnerin der Karaokebar mit einem müden Lächeln zufrieden geben, als sie mehr als offensichtlich Interesse an Herrn Shhhh zeigte. Is' halt nix mit rumgeflirte, wenn man gerade ein püaar ranzige Antipasti, einen megaekligen Beef-Burger und einen verdammt großen Brocken Liebe verdaut. Und so hätte der Abend, oder besser "Die Nacht", eigentlich an dieser Stelle enden müssen, wäre da nicht dieses Gefühl, daß man irgendwie etwas verpassen könnte, wenn man jetzt zu Bett geht. Und so führte uns die mittlerweile stark angetrunkene Nacht in unsere Stammdiskothek, die proppevoll und heiß und laut war. Wie immer. It smelled like teen spirit, und der tropft an solchen Orten sogar von der Decke.

...allein und ohne freunde /
am ende unserer träume /
wir sind die letzten in der diskothek.


In der Annahme, jetzt wenigstens etwas Seelenfrieden zu finden, bestellte ich mir den üblichen Martini, und wurde sogleich in ein Gespräch verstrickt, das mir endgültig den Abend verdarb. Will heißen, wenn man selber Kummer hat, und sich dann um den Kummer anderer kümmert, kann's wirklich kümmerlich werden. Und während der Herr Sportraucher nebst Groupie und blauem Getränk in der Menge verschwand, übte ich mich im Trösten einer ganz jungen Sitzengelassenen, die kürzlich sitzengelassen wurde. Und natürlich wir der Durst viel größer, wenn man sich von einer 19jährigen kleinen Dame das Wort Torschlußpanik, respektive die Erkenntnis, daß die letzten 4 Wochen die Liebe ihres Lebens waren, anhören muß. Mir blieb also nichts anderes übrig, als mit Frauenverstehermimik Sätze wie "...Du hast keine Ahnung. Es wird noch viel, viel Schlimmer..." von mir zu geben. Was letztendlich die etwas ältere, quitschige Freundin der kleinen Sitzengelassenen auf den Plan rief, die völlig von sich selbst überzeugt Sachen wie "Ach, der Typ labert doch nur, das was Deine Liebe da mit Dir gemacht hat ist einfach Scheiße!" rausquitschte. Was mich, der eh schon mit wutgeplagtem Bauchdrücken ob der Entwicklung des Abends leicht aggressive Tendenzen im Hinterkopf verspürte, nur wütender machte. Also rasch und mit bösem Blick Klarheiten verschafft: "Halt die Klappe. Du bist 24, seit 6 Jahren in ein und der selben Beziehung. Du hast keine Ahnung von nichts. Ich sag Dir was: Das geht noch 2, 3, 4 Jahre gut, und dann verknallst Du Dich in jemand anderen, betrügst Deinen Freund und wirst Schwanger. Du verläßt ihn. Dein Freund wird Selbstmordgedanken verspüren, während Du über die Tapetenfarbe Deines Kinderzimmers nachdenkst. Also verzieh Dich besser jetzt!". Ob ich recht hatte, weiß ich nicht, aber ich hatte ein gutes Gefühl dabei, und das zählte in Anbetracht der Situation mehr als alles andere.

...im freien fall /
kosmonauten /
ganz allein im all.


Und dann endete sie irgendwie doch noch, die Nacht, die nicht enden wollte, und eigentlich auch gar nicht enden sollte. Herr Shhhh verabschiedete sich vom Sportraucher (nebst Groupie) und taperte alleine durch einen wolkenverhangenen Frühlingshimmel, der trotz der Uhrzeit ungewöhnlich hell und strahlend war. Oder zumindest alkoholbedingt so wirkte. Er griff immer wieder in seine Tasche, weil dort ein Foto war, das ihn an etwas erinnerte. Er beschloß, zu Hause noch einen nicht öffentlichen Weblogeintrag für jemanden zu schreiben, der ihn an an das Foto erinnerte, das ihn an etwas erinnerte, gab aber schnell auf, weil plötzlich zwei Monitore auf seinem Schreibtisch standen. Bruder Bordeux hatte endlich gewirkt.

 

twoday.net AGB

xml version of this page

powered by Antville powered by Helma