Jede Generation hat ihr Unikat. Zumindest im Rheinland. Für meine Eltern waren das Menschen wie Millowitsch. Für mich war es Rocco Clein. Ich kannte ihn eigentlich nur aus dem Fernsehen. Wie er da im albernen Glasfahrstuhl des Viva-Sendezentrums auf und ab fuhr, und in 60er-Nachrichtensprechermanier toternst über Britney und Co. berichtete. Schon da war Rocco das sympathische Gesicht, der Sonderling, die bitterernst-ironische Ausgabe eines authentischeren Wigald Bonings. Nach und nach lernte man mehr von Rocco kennen. Sein faible für Rennsport und schrullige Gitarrenmusik. Seine privaten Seiten. Er war der erwachsenste unter den Slackern. Was ein Widerspruch war, denn Slacker - wie beispielsweise die Jungs von Tocotronic - verlieren ihr Slackerdasein im laufe des Erwachsenwerdens. Rocco hat sich das bewahrt. Er blieb dabei immer authentisch. Seine Buddy-Holly-Ästhetik gepaart mit dem 60er Jahre Schuljungenlook war nie aufgesetzt. Und Rocco hatte immer die besten Plattentipps parat. Sachen, von denen man gar nicht glaubte, daß sie es gab.
Rocco war auch derjenige, der Bands gerne protegierte und förderte, wenn sie ihm gefielen. Ein Beispiel, daß mir da immer gerne in Erinnerung bleibt ist seine Saufeskapade mit Angelika Express. Es sollte eigentlich ein Interview am frühen Vormittag sein. Doch Rocco war so angetan von den drei Herren im Anzug, daß er sich mit Ihnen besoff, und in dem Zuge beschloß, mit Ihnen auf Tour zu gehen. Der Alkohol und diese Anekdoten machten Rocco zur lebenden Legende, die jedoch im Kölner Stadtbild immer greifbar war, gar nichts legendenhaftes hatte. Man traf ihn immer irgendwie, am liebsten Alkohol konsumierend. Meistens im Blue Shell. Jedoch immer da, wo etwas los war.
Ich lernte Rocco tatsächlich im Blue Shell kennen, letzten August, nach einem Angelika Express-Konzert. Mir war schon damals bewusst, daß dieser Mann, der so harmlos aussah, ein Mann der Exzesse war. Ein Mann, der die Nacht und den Suff als beste Freunde hatte. Es war jedoch nicht so, daß man Mitleid mit ihm haben musste. Nein, man blickte stattdessen zu ihm auf, honorierte seine Trinkfestigkeit mit Bewunderung und Erzählungen. Es passte einfach zu ihm, so wie es auch zu Frank Sinatra oder Dean Martin gepasst hat. Ich kann mich erinnern, daß ich dem Troß um Rocco Clein in jener Nacht gefolgt bin, an der Eskapade teilhatte. Mitschwimmer. Ich bin mir sicher, daß er mein Gesicht sofort wieder vergessen hat, aber ich hatte einen Heidenspaß in jener Nacht, nicht zuletzt wegen und mit Rocco.
Ich kann mich erinnern, wie er dort mit herausgestrecktem Bierbauchansatz und einem Glas Kölsch in der Hand am Tresen des Sixpacks stand, und sich die Leute anschaute. Ich ging zu ihm hin, und fragte lallend: "Du bist also der Herr Viva2 Nachrichten Rocco?", und in dem Moment war mir bewusst, daß die Frage schlichtweg beschissen war. Rocco sah mich an, griff über den Tresen, und reichte mir eine Flasche Bier mit den Worten: "Nein, ich bin nur der Rocco".
Ich kann mich erinnern, daß wir noch ziemlich lange da am Tresen standen, Kölsch tranken, und uns über die Leute lustig machten. Soweit das in unserem Zustand noch ging. Ich kann mich erinnern, daß hinter Roccos unterkühlter Art eine Herzlichkeit steckte, die immer dann zum Vorschein kam, wenn man ihn nicht als DEN Rocco Clein behandelte, sondern als ganz normalen Saufkumpel. Und das tat ich an jenem Abend. Wie der Abend endete, weiß ich nicht mehr. Aber er bleibt mir immer, und gerade jetzt, wo Rocco nicht mehr da ist, in sehr guter Erinnerung.
Rocco Clein ist tot. Vielen wird das nichts bedeuten. Mir sollte es eigentlich auch egal sein, denn ich kannte diesen Mann nur für ein paar Stunden, und er kannte mich garnicht. Aber es bestürzt mich sehr, und ich fühle mich so, wie ich mich damals gefühlt habe, als die Nachricht von Lady Dianas Tod über den Äther ging.
Rocco Clein ist tot. Köln hat nach Millowitsch den zweiten großen Lebemann verloren. Und dennoch: So tragisch das ist, bin ich mir sicher, daß Rocco glücklich gestorben ist. Oder zumindest betrunken. Und ich bin mir auch sicher, daß die immerwährende Party seines viel zu kurzen Lebens oben im Himmel weitergehen wird.
Rock on, Rocco!
Edit: Auch Herr Waldar und Herr Sportraucher trauern mit
http://waldar.twoday.net/stories/135128/
http://sportraucher.twoday.net/stories/135266/
Herr shhhh
am Montag, 2. Februar 2004, 13:26
waldar kommentierte am 2. Feb, 13:33:
ach herr shhh,
sie haben so recht und sind mir damit einen schritt voraus.
shhhh kommentierte am 2. Feb, 15:29:
Wer möchte
kann und darf gerne im Gästebuch der Intro, dem Blatt, für das Rocco demnächst als fester Autor hätte arbeiten sollen, sein Beileid kundtun.
sportraucher kommentierte am 2. Feb, 16:38:
nachruf
ihr nachruf herr shhhh. gut, sehr gut. wenn rocco das liest wird er zufrieden grinsen, ganz sicher.
shhhh entgegnete am 2. Feb, 16:40:
ich war so frei
sie auch mal zu verlinken. Nicht nur wegen der schönen Autogrammkarte.
sportraucher entgegnete am 2. Feb, 16:41:
wenn "helden" gehen
wirds immer so sein. auch wenn rocco eher anti-held war!
shhhh entgegnete am 2. Feb, 16:49:
Ne, Herr Sportraucher,
da geht wesentlich mehr. Einer der letzten, der sich für die Indie-Szene eingesetzt hat.
Der das als Lebensaufgabe hatte.
Der Sprecher eines ganzen Genres war.
Der ganz klar gesagt hat,
was ihm nicht passt,
und was uns passen sollte.
Und da klafft jetzt eine große Lücke.
sportraucher entgegnete am 2. Feb, 16:51:
anti-held
sag ich doch. für so anti-popstars wie uns. die lücke hat riesige ausmaße. leider!
shhhh entgegnete am 2. Feb, 16:54:
Stimmt.
Für uns auch.Jetzt bin ich doppelt betroffen.
Heute Abend ein Bier auf Herrn Clein.
Und vielleicht auch einen Song.
sportraucher entgegnete am 2. Feb, 17:01:
ein bier und ein song
so hätte er es gewollt. oder auch zwei!
zeitgenossen kommentierte am 2. Feb, 16:49:
Ich weiss noch,
wo ich war, als Lady Dy starb, vor einem Irish Pub in San Diego, das mir verwehrt wurde , weil ich meine ID vergessen hatte, die anderen liessen mich allein draussen stehen, ich ging in die Spielhalle, die war ganz leer, und spielte an einem uralten Flipper, und Lady Dy war mir egal, weil ich dachte, sie hätten gelogen. Weil sie doch Iren waren und weil sie mir einfach egal war. Den Herrn hab ich an einer Messe getroffen es war schrecklich, der Stand gegenüber hatte Lautsprecher und er erzählte einen Witz, der ganz traurig war. Deshalb war er mir nie egal, ich hatte immer ein Ziehen im Herz, wenn ich an ihn dachte. Deshalb und weil ich gern mit ihm so Zeugs gemacht hätte, natürlich.
shhhh entgegnete am 2. Feb, 16:51:
Popkomm?
Großer Witz und Lautsprecher klingt schwer nach Popkomm.
zeitgenossen entgegnete am 2. Feb, 16:55:
Ja
genau.
waldar kommentierte am 2. Feb, 16:57:
ich würde
ja gerne noch in den trauergesang mit einsteigen, aber ich muss jetzt mal aufhören zu arbeiten und diese freundin besuchen.allen anderen einen weiterhin netten tag ohne weitere horrormeldungen...
shhhh entgegnete am 2. Feb, 17:01:
Herr Waldar,
bestellen Sie bitte unbekannterweise liebe Grüße.Man fühlt mit.
sportraucher entgegnete am 2. Feb, 17:01:
genau
tut man!
kaipahl kommentierte am 28. Feb, 14:31:
Monsters of Rocco
Wie ich gerade auf FM4 höre, gibt es am 1ten + 2ten März ein Benefizkonzert für die hinterbliebenen Kinder und am 2ten März am Nürburgring ein Gedächnis-Kart-RennenNachruf von FM4: http://fm4.orf.at/sonja/158249/main
Monsters of Rocco: http://monsters-of-rocco.de/index.html