mach bitte ganz schnell dieses "Ich heißä supafantastiiisch, ich trinkä Schampuhs mit Lacksfiiisch!" aus meinem Kopp raus, sons dreh ich noch durch...

Es gibt dunkle Flecken in der musikalischen Sozialisation, die man besser veschweigt. Diese kleinen Peinlichkeiten in den ersten Jahren des Musikkonsums, die sich im schlimmsten Falle bis in das Alter halten, wo man eigentlich eher an privater Rentenversicherung und Latte Macchiato interessiert sein müsste.

Mein Fleck ist jetzt 15 Jahre alt, dunkel, ein wenig verblichen, und mir in gewissen Situationen immer noch furchtbar peinlich. Musikalische Spermaflecken auf einem Lieblings-T-Shirt.

Es muß irgendwann 1987 gewesen sein, als ich meine erste Depeche Mode-Platte in der Hand hielt. Music For The Masses, blaues Vinyl, und eigentlich nur gekauft, weil die Tochter meiner Pflegeeltern, in die ich heimlich verliebt war, eben jene Musik rauf und runter hörte. Die Musik auf der Platte war ganz nett, aber letztenendes doch nicht so aufregend, wie ich immer dachte. Doch das sollte sich 2 Jahre später ändern, als ich mir in einem Anflug von was auch immer die “101” zulegte, den Konzertmitschnitt des 101. Music For The Masses-Gigs im Rosebowl Stadium, Los Angeles, Pasadena, vor rund 70.000 Verrückten.

Und was hab ich diese Vierfachvinyl geliebt.Rauf und runter gehört. Immer wieder ins Cover gelinst, unentwegt die Grobkörnigkeit von Anton Corbijns Bildern bewundert. Aber auch das war noch nicht der entscheidende Moment, der mich letztlich davon überzeugte, daß es sich hier um die absolute Lieblingsband meiner Jugend handelt.

Der kam einen Monat später mit der Veröffentlichung der gleichnamigen, vom dicken D.A. Pennebaker gedrehten Tourdoku. Die VHS-Kassette sollte für mich entscheidende Konsequenzen haben. Vielmehr eine bestimmte Stelle: Alan Wilder, meiner Meinung nach die coolste Socke in dieser kleinen Band mit dem Massenappeal, erklärt irgendwo im ersten drittel des FIlms, wie seine Keyboards, vielmehr sein Schicker EMAX 2 Sampler funktioniert. Ich weiß nicht, wie viele hundert Male ich diese Stelle vor und zurückgespult habe, aber die Faszination war überwältigend. Verschiedene Sounds, “...allocated to specific parts on the keyboard...” ergaben den Gesamtsound von “Black Celebration”. Und der Mann sah sowas von beneidenswert cool aus, mit seiner Tolle und seinem britischen Charme, daß mir garnichts anderes übrig blieb, als zu sagen: Genau das will ich auch machen!

Und so wich dann die Bontempi-Orgel meinem ersten Synthesizer, die lustigen Computerspiele meiner ersten Sequencersoftware und der Klavierunterricht unendlichen Stunden der Soundbastelei. Alan Wilder war’s schuld. Und der Mann durfte sich von da ab rühmen, aus mir einen absolute Synthie- und Samplerhure gemacht zu haben. Immer lechzend nach den neuesten Technologien in Sachen Klangbastelei und “wieviel Spuren hält mein Rechner aus”.

Viele Jahre und viele unrühnmliche musikalische Nebenjobs später (Ich sag nur Beate Uhse!) hatte ich dann einen Job als Grafiker für ein Musikmagazin, und in dem Rahmen auch die Möglichkeit, hier und da mal Interviews zu machen. In Sachen Depeche Mode tat sich zu dieser Zeit recht wenig, aber siehe da, Alan Wilder, der ein paar Jahre vorher bei Depeche ausgestiegen war, tauchte plötzlich mit seinem Soloprojekt Recoil aus der Versenkung auf. Und ich hatte in dem Rahmen die Möglichkeit, ein Interview mit ihm zu führen. Zwar nur am Telefon, aber immerhin. Ich erinnere mich, daßich in meinem ganzen Leben noch nie so aufgeregt war. Und dann hatte ich ihn für 30 Minuten an der Leitung, immer im Hinterkopf, daß dieser Mensch fast alles in meiner musikalischen Vita zu verantworten hatte. Es war die furchtbarste halbe Stunde der Welt. Für mich. Und die Tatsache, daß ich mich so gut wie garnicht an das Interview erinnere, läßt darauf schliessen, daß es mehr oder minder eine Ansammlung peinlicher Fragen war, die ich da von mir gab.

Dennoch, dank oder gerade wegen des Interviews ergab sich sowas wie ein sporadischer Kontakt via E-Mail, den ich lange Zeit halten konnte. Kontakt zu einer meiner persönlichen Legenden. Das war auf der einen Seite entmystifirierend, auf der anderen Seite aber auch eine Sache, die mich furchtbar stolz machte. Zu mal dieser Kontakt dankenswerter Weise in kleinen Arbeiten für die Familie Wilder mündete (http://www.recoil.co.uk), und ich als Gegenleistung Zugang zu den neuesten Infos und natürlich auch zu neuem Material des Recoil-Projektes hatte.

Damals hab ich kaum darüber gesprochen, aber mittlerweile, nach so vielen Jahren, und nach dem der Kontakt nicht zuletzt durch Wilders selbstherbeigerufenen Kreativitätsstopp abgeebbt ist, seh ich die ganze Sache lockerer.

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Alan Wilder nebst kleiner rothaariger Ehefrau.

Der Höhepunkt war dann im Jahr 2000, als ich im Zuge der letzten Recoil-Veröffentlichung tatsächlich die Möglichkeit hatte, mit Alan Wilder ein Interview in Köln zu führen. Aufgeregt war ich nicht mehr, denn ich kannte den Mann ja bereits. Aber dennoch war es ein merkwürdiges Gefühl, an jenem Nachmittag im Hopper St. Antonius-Hotel in Köln aufzutauchen, sich erst eine gute Stunde mit Alans Frau Hepzibah über die Macken ihres Mannes zu unterhalten, und dann das eigene Jugendidol vor sich zu sehen. Es war dennoch ein peinlicher Moment. Mein Diktiergerät funktionierte nicht, und so war ich zum Mitschreiben verdammt, was aber auch nicht viel brachte, da ich einfach zu zittrig war, um überhaupt mitschreiben zu können. Und so unterhielten wir uns 45 Minuten über alles mögliche, nur nicht über Musik. Letztlich auch meine eigene Schuld, denn ich hatte dem Mann als Geschenk für seine kleine Tochter Paris ein paar Teletubbies-Socken mitgebracht, und die waren natürlich willkommener Aufhänger für ein langes Gespräch über nervende kleine Kinder, nervende kleine Ehefrauen und Drogen.

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Alan Wilder ohne kleine rothaarige Ehefrau, dafür mit Wand im Rücken.

Ab jenem Zeitpunkt war der Mythos Depeche Mode, und letztlich auch die Heldenfigur Alan Wilder irgendwie entweiht. Nichts wirklich besonderes mehr. Es sind eben jene Momente, wo man dann feststellt, daß Kindheitshelden auch nur Menschen wie Du und ich sind. Mit ganz eigenen Spleens und Macken, mit Humor und Alltagsproblemen. Nicht so cool wie auf den grobkörnigen Schwarzweiß-Fotos von Corbijn. Sondern eben einfach nur Menschen.

Und dennoch: Für eine neue Recoil-Platte würde ich alles stehen und liegen lassen. Für Depeche Mode nicht unbedingt. Es sei denn, Herr Wilder beschliesst, wieder dabei zu sein. Aber das ist unwahrscheinlich.

 

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